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Raimund-Theater. Debut
des Fräulein Lili Petri in Ibsen’s
»Nora«.
Nora ist ein Gemisch von
scharfen Instincten der Klugheit
und raschen Wallungen eines starken
Temperamentes. Sie ist scharfer
Verstand, wenn sie in Roberts
Heim die Lerche spielt, ihm zu
gefallen. Sie ist scharfer Verstand,
wenn sie für Günther bittet, da
er ihr zornig Rache droht. Sie
ist scharfer Verstand, wenn sie bei
Doctor Rank, der sie mit stiller
Neigung ehrt, in ihrer Noth Geld-
hilfe sucht. Aber sie ist Tempera-
ment, starkes Temperament, wenn
sie sofort damit verstummt, als er
ihr hier von seiner Liebe spricht,
Temperament, wenn sie aus Furcht
vor ihrem Mann zum Tode sich
entschliesst, und Temperament,
starkes, glühendes, stürmisches
Temperament, wenn sie am Schluss,
als ihres Gatten Niedrigkeit sich
brüsk enthüllt, ihn und die Kinder
jäh verlässt. Nur ist es nie ein
reiner Verstand, ein reines Tem-
perament, was hier sich unsern
Blicken bietet, nicht ungemengt
reiht sich das Eine an das Andere.
Sondern im Ersteren schwingt leise
auch das Letztre mit, im Letztern
stets das Erste. Diesen feinen, zarten
Rest nun von Temperament in der
Klugheit, von Klugheit im Tem-
peramente ist Fräulein Lili Petri
uns leider schuldig geblieben, und
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wenn bei ihrem sonst gewandten
Spiel der Nora thun nicht vollen
Glauben fand, so hat das seinen
tiefern Grund in diesem psychischen
Defecte.
R. St.
Deutsches Volkstheater.
»Zwei Welten«, Schauspiel in
vier Acten von Marco Brociner.
Die beiden Welten, die Marco
Brociner in seinem Stücke aufein-
anderprallen lässt, verkörpern sich
am deutlichsten in diesen beiden
Frauen, die warm und stark um
den Besitz des heissgeliebten
Mannes streiten. Die Waffen der
einen, der Russin, sind Raffinement
und eine rücksichtslose Tapferkeit,
die auch vor Feigheit und Verrath
nicht scheu zurückweicht, die
Waffen der anderen, der Wienerin,
sind Unschuld, Weichheit und eine
gütige, verträumte Milde. Aber
es leuchtet unmittelbar ein, dass
diese Eigenschaften weder für die
Russin, noch leider für die Wiener
Frau charakteristisch oder typisch
sind. So führt der Titel irre. Es
ist im Grunde nicht der neue
Kampf des russischen mit einem
Wiener Milieu, sondern es ist der
alte, doch stets noch fesselnde
Conflict weiblicher Kindlichkeit mit
weiblicher Erfahrung. Die ganze
hehre Welt der Reine steht hier
der Halbwelt feindlich gegenüber,
misst willenlos die Kraft mit ihr
und unterliegt. Das ist der tiefere
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