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Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 862

Text

NOTIZEN.

Carltheater. Zum Gastspiel
Ermete Zacconi’s.

Man hat Ermete Zacconi entweder
als Virtuosen oder als wirklichen
Künstler bezeichnet: als Virtuosen,
weil er intelligent stets über, nicht
in dem Stück zu stehen scheine;
als Künstler, weil er höchst energisch
dünke, »wenn seine Technik wohl
auch manchmal mit ihm durchging«.
In beiden Fällen hat man stark ge-
irrt. Eine Intelligenz, die sich jeden
Moment verkündet, zeigt und ver-
räth, kann nie auf jene Grösse
Anspruch machen, die auch dem
Virtuosenthum zu eignen hat. Denn
dessen Wesen ist es ja, den Seelen-
mangel zu verhüllen, durch Aeusser-
liches doch den Schein von innrer
Wärme zu bewahren, die kalte
Arbeit des Verstandes zu verdecken.
War das der Spieler nicht im
Stand, so hat er schon das Recht
verwirkt, als klug, geschickt im
höchsten Grad, mit einem Wort:
als Virtuos zu gelten. Das also ist
Zacconi nicht. Aber noch weniger
ist er ein reiner Künstler. Denn
wenn man zugibt, seine »Technik
gehe manchmal mit ihm durch«,
und wenn man gleichwohl noch
von seiner künstlerischen Energie,
von seinem künstlerischen Wollen
spricht, so übersieht man einfach,
dass diese Technik nicht ein auf
den Spieler Wirkendes, vielmehr
ein erst von ihm Bewirktes ist,
dass also seine Ziele, seine Zwecke
unkünstlerische waren, wenn seine
Wege, seine Mittel es gewesen.

Dass dies nun bei Zacconi leider
oft der Fall, darüber herrscht nur
eine Meinung. Nur sehen die Einen
die Mätzchen als Regel, die An-
deren gütig als Ausnahme an.
Aber darin stimmen beide Gruppen
überein, dass hier nichts Ganzes,
Einheitliches sich erhebt, nichts
Ungetheiltes, Ungebrochenes, und
das ist wohl der sicherste Beweis
dafür, dass Signor Zacconi nicht
ein grosser, gar gewaltig ra-
gender, sondern höchstens ein
mittlerer Schauspieler ist, der nur
(dem Publicum gegenüber) gerne
Virtuos und (der Kritik gegenüber)
gerne Künstler wäre. E. N.

Raimund-Theater. Gast-
spiel des Fräuleins Lili Petri.

In »Divorçons«, diesem alten, köst-
lichen Lustspiel, hat Fräulein Petri
uns bekehrt. Wenn wir nach ihrer
Nora an ihrer Kunst noch leise
zweifelten — nach dieser schim-
mernden, tollen, berückenden Cy-
prienne müssen wir Alle, die wir
ehrlich sind, sie ganz begeistert
loben. Wie sie naiv in der Frech-
heit und frech in der Naivetät
dem Manne von der Trennung
spricht, wie sie den Hausfreund,
als er erst ihr »Bräutigam« ge-
worden, schmollend neckt und
persiflirt, wie sie im chambre sé-
parée im Rausche silbern lacht
und lockt und sich von ihrem
Gatten rückgewinnen lässt — das
ist ein Wunder an Feinheit und
raffinirter Verführung Die an-
deren Spieler, besonders Herr Klein

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 1, Bd. 2, Nr. 22, S. 862, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-01-02-22_n0862.html)