Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 5

Der Herbst (Fuchs, Georg)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 5

Text

DER HERBST. 5 III.
Tafel des Stifters. Das Weihgeschenk.

Herrin, empfangt die umflochtene Schale:
Der Ernte Vollendung künde sie dir;
Der Ernte Vollendung im dämmernden Thale,
Neige dein Herze, nimm sie von mir!
Rast gewähre, bis neu ich dir diene:
Siehe, die Früchte brachten wir heim,
Dir trug lieblichen Honig die Biene,
Dir wuchs zum Wipfel Setzling und Keim.
Das Mühlrad peitschet die schnellende Röhre,
Dass es schäumt und malmend kreist,
Im trunknen Gewölbe singen die Chöre
Das Lied der Jugend von Klarheit und Geist.

Ich bin der Winzer, der den Weinstock bindet,
Ich bin der Mundschenk, der den Jährling giesst
Ich bin der Gärtner, der das Veilchen findet,
Der die reife Ueberfülle spriesst.
Ich bin der Sämann, bin der Schnitter,
Bin der Erde Wirth und Gast,
Ich sättige sie mit Saat
Nach lenzlichem Gewitter,
Ich pflücke von dem süss berauschten Ast
Nach der Väter Brauch und Rath,
Ich bin der Sämann, bin der Schnitter.

Gebet.

Breite deine klaren Linnen,
Senke sanft sie, decke zu,
Schliess aus deiner Kraft die Rinnen,
Grosser Rufer läute zur Ruh!
Könnte noch das Herz uns darben
In den irdischen Paradiesen,
Da wir kühn die Frucht erwarben,
Liebend ihren Geist gemessen,
Da wir ruhen bei ruhenden Gaben,
Bis verjüngt die Quellen fliessen.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 5, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0005.html)