Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 18
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nur während der Erntezeit wurde ihre Hilfe beansprucht, jedoch nur
sehr kärglich bezahlt. Sie verdienten durchschnittlich 40—50 Kopeken,
die Frauen 15—25 Kopeken, mussten sich aber selbst beköstigen. Das
Brot kostete 65—80 Kopeken, in Tiflis sogar 80—100 Kopeken fürs
Pud. Ausserdem aber brauchen sie Salz, Arznei, Wohnung Seit der
Deportation bis zum 1. Jänner 1897 starben von ihnen 460, die Be-
erdigung kostete 2—5 Rubel für jede Leiche
Herr Passinskij, ein bekannter russischer Schriftsteller, der gleich-
falls über diese Angelegenheit schrieb und dem die Duchoborzen
durchaus nicht sympathisch sind, der sie sogar verurtheilt, sagt u. A.:
»Sie sind mit Recht von der Obrigkeit als Schuldige bezeichnet und
mussten ihre Strafe erleiden. Aber damit war durchaus nicht beabsichtigt,
sie in eine so hoffnungslose Lage zu versetzen. Man muss diesen Leuten
helfen, denn sie haben schon deshalb ein Recht auf Hilfe, weil sie so
furchtbar unglücklich sind. Wir Russen helfen ja stets unseren ins
Unglück gerathenen Brüdern, selbst wenn sie Diebe und Mörder sind.
Hoffentlich ist unsere Quelle des Mitleids noch nicht versiegt, unsere
Wohlthätigkeit und Nächstenliebe noch nicht erloschen. Vielleicht werden
wir, trotz der beständigen Klage, dass es keinen Glauben mehr gibt,
durch unsere Thaten beweisen, dass der Glaube noch nicht ganz ver-
schwunden, sondern dass er lebendig ist und sich auf eine unwandelbare,
thätige, weder Zorn noch Rache kennende Liebe stützt.«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 18, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0018.html)