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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 35

Text

DIE »JUGEND« — UND KEIN ENDE. 35

sociale Tragödie, die dem modernen Drama der Jugendliebe zu-
grunde liegt.

So kam denn nach der letzten Literaturperiode mit ihrem matten,
greisenhaften Pulsschlag die junge, drängende Kunst des modernen
Stimmungsmenschen, dessen reiche Nerven- und Sinnenwelt nach Be-
freiung lechzt und durch die Freiheit in der Liebe die Pforte sucht
aus der Knechtschaft des Lebens. Diese junge Kunst mit ihrer tiefen
Befreiungssehnsucht und ihrem verzehrenden Erlösungsdrang brauchte
ein neues Drama der Liebe, dessen Tragik eine erschütternde An-
klage, eine künstlerische Revolution gegen die Tyrannei des modernen
Lebens bedeutete. Dieses Drama musste geschrieben werden, der Stoff
war vorhanden, er hing gleichsam in der Luft. Max Halbe hat glück-
lich zugegriffen. Es ist schade, denn er hat kein volles Kunstwerk
daraus zu schaffen vermocht. Er gab ein Trauerspiel, dessen Schicksal
das bedeutet, was es gestalten sollte: ein Stück Jugend, deren be-
freienden Aufschwung das plumpe Leben niederhält, über das sie
nicht hinwegzukommen vermag.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 1, S. 35, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-01_n0035.html)