Text
Von Elsa Kotanyi (Wien).
In dem kleinen Redactionszimmer ist es fahl und still. Draussen
bereitet sich ein Gewitter vor; noch zuckt kein Blitz, nur Wolken
ballen sich dunkel und klumpig, die Luft ist schwefelgelb, nächt-
lich kühl.
Die Luft zieht in Stössen durch das angelehnte Fenster, wirbelt
vom Schreibtisch Blätter in die Mitte des Zimmers, er wendet den
Blick von ihrem blassen, zu strengen Gesichte, sagt spöttisch: »Der
meint es besser mit mir, gnädigstes Fräulein.«
Sie springt auf, wirft ihm ein hastiges, kleines Wort hin, geht
zum Fenster, spricht etwas hinaus, was vor seinen Ohren erstirbt und
geht dann langsam, müde, erschöpft zu ihrem Sessel zurück. Ein feind-
seliger Blick aus halbgeschlossenen Augen, dann kreuzt sie die Füsse,
schlingt sich drei-, viermal die weisse Federboa um den Hals, sagt:
»Weiter!«
Er sitzt da, den Kopf halb geneigt, mit einem streng forcirten,
ironischen Lächeln, das die Oberlippe hebt und die gesunden, blanken
Zähne weist. Das gibt dem feinen, geistreichen Gesichte einen bar-
barischen, grausamen Ausdruck. »Fräulein,« sagt er gemüthlich, »g’hört
das dazu, das Schupfen, das Hin und Her?«
»Pfui!« sagt sie langsam und verächtlich und sieht ihm steif ins
Gesicht. »Glauben Sie, ich spiele Ihnen Scenen vor? Sie, was sind Sie
mir? Wenn ich zur Thüre hinausgeh’, sind Sie vergessen!«
»O!« Misst sie ernst und kalt, will etwas hervorstossen, dann
verbeugt er sich und zieht an dem spitzen, röthlichen Bart. »Grazie!«
sagt er schneidend.
Da zuckt ein Blitz — er schliesst die Augen, taumelt, sie sieht
jäh in den offenen Himmel. Athmet erlöst. »Ich möchte Sie kennen
lernen,« sagt er plötzlich leise und als läge tiefe Sehnsucht nach einer
fremden, ungeahnten, ewig fremden Welt in seinen Worten.
Seine zuckenden, grauen, unstäten Augen heben sich vom öden
Tasten und werden ängstlich gross und herrisch. Das Beste was in
ihnen liegt, ist entblösst.
»Ah, das war gar kein Gewitter,« sagt sie hellauflachend, »das
war nur so eine Comödie.«
Fast schleichend fasst er ihre Hand.
»Wozu — lassen Sie mich!« Sie packt den Kragen, wirft ihn um.
»Was wollen Sie von mir? Bleiben Sie mir lieber Geheimniss,
werther Herr! — Wenn ich Sie ausgelesen habe — werf ich Sie weg!«
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 89, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-03_n0089.html)