Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 88
Text
Maria. Er hat ihn nicht gefordert, ich habe ihn aus freiem
Willen geleistet. Jetzt hat die Hölle ein Recht auf mich und er
Oheim, ich fürchte mich
Der Priester. Aber so beruhige dich doch, Kind
Maria (immer fieberhafter). Warum ist Gerhards Seele auf uns zu-
gegangen, und Carl blieb dort zurück am Rande des Eises? Weil Ger-
hard mir verziehen hat und Carl nicht! Gerhard kam, um uns noch
einmal zu sehen, um Abschied zu nehmen dort, vom Meere her. Aber
Carl Oheim, Oheim, ich fürchte mich.
Der Priester. Aber Kind Dein Bruder und Carl können
ja noch am Leben sein, ja, sie sind’s aller Wahrscheinlichkeit nach.
Sie werden heimkehren, Carl wird dir verzeihen, und Alles wird gut
werden. Ich werde ihn dazu bestimmen, du wirst sehen, er wird dir
verzeihe So fürchte dich doch nicht!
Maria. Ah!
Der Priester. Was gibt’s? Was ist geschehen?
Maria (fast bewusstlos, streckt die Hand nach der See aus). Dort,
Seht ihr? (In der Ferne die Vision eines Schiffes, dessen Masten und Segel ganz
mit Eis und Schnee bedeckt sind, die aber weder der Priester noch Andreas wahr-
nehmen.) Das Schiff! Das Schiff! Das »Kreuz des Südens«!
Andreas (entsetzt). Maria!
Der Priester. Wo? Was? Was sagst du? Aber Maria, so
komm’ doch zu dir.
Maria. Oh, mein Heiland! Sie haben mich so geliebt. Warum
willst du mir nicht verzeihen, wie mein Bruder mir verziehen hat,
warum willst du nicht zu uns kommen wie er? Carl! Carl! Ich bin
dein! Oh! (Sie bricht bewusstlos zusammen.)
Andreas (neben ihr auf die Knie fallend). Maria!
Der Priester. Komm’, tragen wir sie in’s Haus!
(Die Vision des Schiffes verschwindet.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 3, S. 88, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-03_n0088.html)