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leugnen, dass die Kritik in ihrem
Lobe über ihn mehr Feinsinn
aufgeboten hat, als in ihrem
Tadel.
Levetzow’s Dichtungen erinnern
an jene Gemälde, die manchem
Beschauer ein wirres Neben- und
Durcheinander von bunten Farben,
grellen Reflexen und unglaublichen
Stimmungen erscheinen. Weiss man
aber den Standpunkt zu finden,
von dem aus sie betrachtet werden
müssen, dann gruppiren sich aus
dem glühenden Nebelschleier Ge-
stalten zu wachsender, krystall-
heller Schärfe der Konturen, zur
unmittelbaren, selbstverständlichen
Wirkung heraus. Man braucht
bloss bei der Verblüffung über
den chaotischen Reichthum stehen
zu bleiben, wenn man es zu einem
abfälligen Urtheil bringen will; um
Levetzow zu würdigen, muss man
weiter gehen.
Inhaltlich reihen sich die »Höhen-
lieder« an die »Gedanken eines
Andern von Ihmselbst« an. Gleich
diesen fussen sie auf dem Unter-
schiede zwischen Menschen und
Anderen und bringen Stimmungen,
Wendepunkte, Aufschreie aus dem
Entwicklungsprocesse, der von den
Einen zu den Anderen führt, in
loser Aneinanderreihung.
Unter den »Anderen« sind Jene
zu verstehen, welche einen solchen
Grad innerer Vollkommenheit er-
reicht haben, dass sie alle Ingre-
dientien der Menschlichkeit in sich
vereinigen, und denen daher alle
Vorgänge ausser ihnen nur wesen-
lose Projectionen ihrer Innerlichkeit,
nicht mehr bedeutungsvolle Selbst-
erscheinungen sind. Eine Stufe, zu
der man nach Levetzow’s Ansicht
nicht durch philisterhaft ausdauern-
des Streben gelangt, sondern durch
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die Fähigkeit, sich im Feuer grosser
Gedanken und Leidenschaften zu
läutern, und so als Phönix aus der
eigenen Asche aufsteigt.
Die Form der Lieder ist bis
auf vier oder fünf, die sich in den
landesüblichen Metren bewegen,
die freier Verse, welche an die
Oden Pindar’s, mehr noch an die
Cantilenen von König Davids
Psalmen erinnern. Die Structur der
Rhythmen gliedert sich nach dem
logischen Aufbau des Gedankens,
so dass, wer den Inhalt nicht
verstehen würde, kaum den Ein-
druck gebundener Rede haben
könnte.
Es ist schwer, aus einer Samm-
lung wie die der »Höhenlieder«
Einzelnes herauszugreifen. In ihrer
Gesammtheit liegt eben die Formel
ihres eigentlichen Verständnisses,
ihrer wahren Würdigung. Wir
möchten nur verweisen auf: »Um-
armung (— gestern ist der Tod
gestorben)«, »Bleicher Himmel,
dunkle Meere«, »Abschied«, »Ver-
blassen«, das letzte der Aphorismen,
und vor Allem auf den Cyklus:
»Menschen und Andere«.
Wer an das Büchlein herantritt,
wird sich Levetzow’s Worte gegen-
wärtig halten müssen:
»Kurz herausgestossen
Ist der Adlersschrei
Und unverständlich.
Aber in ihm liegt
Sonnenhöhe
Und Abgrundstiefe.
Recht hören — —
Muss gelernt sein.«
R. v. E.
Aus dem hohen Norden.
Kajakmänner. Erzählungen grön-
ländischer Seehundsfänger, heraus-
gegeben von Signe Rink. —
S. Fischer, Berlin 1897.
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