Text
— »Man« wer ist das?
— Das ist ein Thier mit vielen Köpfen. Es nährt sich von
Blumen und Früchten — den feinsten, o Kami! — und speit Gift,
gerade umgekehrt wie die Bienen, die aus Gift Honig saugen. Man
ist Eisen, wenn er schlägt, Nebel, wenn ihr ihn wieder schlagen wollt.
Man ist der Mann, der nicht ist. Man spricht, wenn er nicht gefragt,
und schweigt, wenn er angesprochen wird. Man verkriecht sich in
Ecken, die kleiner sind als er, und wenn ihr ihn da herausholen wollt,
ist er weg, wie eine Wan
— Ich weiss schon, wir sind in Paris gewesen Aber habt
ihr denn kein Insektenpulver hier?
— Freilich, herablassender Kami, aber es hilft erst, wenn Man
todt ist. Man liesse sich vertreiben, wenn er nicht stets dafür sorgte,
dass er todt ist und begraben und vergessen vor der Niederlage. Dann
sind neue Man’s an seiner Stelle, und sie meinen dann mit ein paar
tausend Pfund Gusseisen, dass sie in Form einer Puppe auf dem einen
oder anderen Markt niedersetzen, die Schuld der alten Man’s be-
zahlen zu können. Oder besser, sie meinen das gar nicht einmal. Der
Zweck ist allein, sich für besser auszugeben als die Vorigen. Und die
Unaufrichtigkeit solcher Nachhuldigung erkennt man unter Anderem auch
daran, dass sie, die da Eisen geben für ehrlos erworbenes Gold, zur
selben Zeit auf die Steine werfen, die da nachher wieder Anspruch
auf schnödes Eisen haben werden.
— Aber was fangt ihr dann an, dass ihr nicht unterliegt?
— Das ist mühsam genug, Kami, der Ihr von fernher daher-
kamt. Da sind solche, die bis aufs Aeusserste den Kampf führen —
das sind die verkehrt Geborenen — aber die Meisten laufen über,
um mit Man gemeinsame Sache zu machen, obschon das Niemand
unter vier Augen gesteht. Im Gegentheil, jeder spricht über Man, als
wenn er nicht dazu gehörte.
— Wie könnt Ihr dann wissen, wer dazu gehört und wer nicht?
— Das seht Ihr meistens an dem Bauch der nicht da ist,
o Kami, dessen Gemüth unermüdlich im Untersuchen ist. Wer einen
Bauch hat, dick, rund, formosus — d. h. formvollendet, o Kami! —
vor Allem unaufgeschnitten wie ein Band Predigten, kann als zu Man
gehörig betrachtet werden. Und wer keinen Bauch hat, ist verkehrt
geboren. Aber es ist faul damit, o Kami, der Ihr Weisheit sammelt
wie ein Regenbach das Wasser, es ist faul damit. Es ist just wie mit
dem Anstand
— Anstand, was ist das?
— Das ist etwas wie jene tönenden Bezeichnungen, die man
einer Sache gibt, und mit denen man herumwirft, weil sie wohlfeiler
sind als die Sache selbst. Anstand ist das Stroh, das man in Papier
wickelt, auf das man schreibt: »Nur Primaware zu Fabrikpreisen«, um
so mit geringem Capital einen Kaufladen eröffnen zu können. Anstand,
Wohlanständigkeit ist eine Spielmarke, die einen bestimmten Werth vor-
stellt, die sich aber nie einwechseln lässt. Anstand ist Christofle-Tugend
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 5, S. 173, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-05_n0173.html)