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Das Wiener Hofopern-
theater schreitet unter der ziel-
bewussten Leitung Gustav Mah1er’s
von Sieg zu Sieg. Keines der von
ihm gewählten Werke hat sich als
Niete erwiesen. Die Vorwoche
brachte uns die einactige roman-
tische Oper »Djamileh« aus dem
Nachlass Georges Bizet’s. Der Com-
ponist hat aus seiner feinen musi-
kalischen Organisation heraus dieses
kleine Werk für einen künstlerisch
zart organisirten Zuhörerkreis ge-
schrieben. Dank der vortrefflichen
Aufführung erzielte »Djamileh« so-
gar bei dem ständigen Premièren-
publicum einen warmen Erfolg.
Das deutet in diesem Falle auf
eine noch gesteigerte Antheilnahme
der nachfolgenden Besucher. Der
Minister sollte es nicht dulden,
dass Richter allzu lange im Straf-
gerichte functioniren. Der Richter
entwickelt sich dort zum Hin-
richter. Aus einem verwandten
Grunde sollte die Generalintendanz
für einen lebhaften Wechsel bei
Zusammensetzung der Besucher
erster Vorstellungen sorgen. Die
Aufnahmsfähigkeit des verhärteten
Premierenbummlers steht schliess-
lich unter dem Zeichen von Elle
und Mass. Die Dichtung Louis
Gallet’s, deren Motiv der Na-
monna Alfred de Musset’s glück-
lich entnommen ist, hat nichts
gemein mit der dramatischen
Prügelkraft der »Cavalleria rusti-
cana«. Auf eine feine psycho-
logische Frage wird darin eine
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menschlich liebenswürdige Antwort
ertheilt. Die handelnden Figuren
treten aus dem Milieu der orienta-
lischen Traumwelt nicht in brutal
aufdringlichen Conturen hervor.
Stimmung ist Alles. Die Musik
Bizet’s breitet einen Zauberschleier
von feinstem Gewebe über den
bescheidenen Vorgang. Bizet’s
Werkchen ist ein entzückender
Ruheplatz, darauf man sich vor
dem Grossen und Gewaltigen,
Tragischen und Niederwerfenden,
das die moderne Opernbühne be-
herrscht, wonnesam erholen mag.
Es befindet sich an einem Orte,
wo man den ehernen Tritt des
grossen Weltenschicksals nicht hört.
Aber wer vermöchte es, den immer
zu vernehmen?
G. S.
Deutsches Volkstheater.
»Figaro’s Hochzeit«, Lust-
spiel von Beaumarchais. Ueber-
setzt und bearbeitet von Ludwig
Fulda.
Die Wiener Bühnen sind seit
Langem nicht mehr imstande,
Literaturschätze vergangener Zeiten
zu heben. Die meisten unserer
Schauspieler vermögen weder vor-,
noch rückwärts zu dringen. An
einer kunstabgelegenen Stelle fest-
gewurzelt, jeder geistigen Bewe-
gungsfähigkeit beraubt, klingen
die Worte ihres Parts selbstver-
ständlich wie von einem entlegenen
Orte herkommend. Da weder
Director, noch Regisseur, noch
Darsteller wussten, wie man heut-
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