Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 247

Der Bär (Tschechow, Anton)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 247

Text

DER BÄR. 247

Frau Popowa. Ich sagte ja in russischer Sprache, dass ich
augenblicklich kein übriges Geld habe, und dass Sie bis übermorgen
warten sollen.

Smyrnow. Ich hatte gleichfalls die Ehre, Ihnen in russischer
Sprache zu sagen, dass ich das Geld nicht übermorgen, sondern heute
nöthig habe. Wenn Sie heute nicht zahlen, so muss ich mich morgen
erhängen

Frau Popowa. Was soll ich aber thun, wenn ich kein Geld
habe? Wie komisch!

Smyrnow. Sie wollen also augenblicklich nicht zahlen? Nein?

Frau Popowa. Ich kann nicht

Smyrnow. Dann bleibe ich hier und werde so lange sitzen,
bis ich das Verlangte erhalte (Setzt sich.) Sie wollen übermorgen
zahlen? Ausgezeichnet! Ich werde bis übermorgen sitzen. Ich werde
ganz einfach so dasitzen (Springt auf). Ich frage sie bloss: muss ich
morgen Zinsen entrichten oder nicht? Oder glauben Sie, dass ich
scherze?

Frau Popowa. Mein Herr, ich bitte Sie, nicht zu schreien!
Hier ist ja kein Stall!

Smyrnow. Ich frage Sie nicht, ob hier ein Stall ist, sondern
ob ich morgen Zinsen entrichten soll oder nicht?

Frau Popowa. Sie verstehen es nicht, sich in Damengesell-
schaft zu benehmen!

Smyrnow. Nein, ich verstehe es wohl, mich in Damengesell-
schaft zu benehmen.

Frau Popowa. Nein, Sie verstehen es nicht! Sie sind ein
schlecht erzogener, roher Mensch! Anständige Leute sprechen nicht so
mit Damen!

Smyrnow. Ach, merkwürdig! Wie soll ich denn mit Ihnen
reden? Französisch? (Boshaft lispelnd.) Madame, je vous prie wie
glücklich bin ich, dass Sie mir kein Geld geben Ach, pardon, dass
ich Sie belästigt habe! Das Wetter ist heute so schön! Und diese
Trauerkleider kleiden Sie herrlich! (Macht einen Kratzfuss.)

Frau Popowa. Das ist nicht geistreich, sondern grob!

Smyrnow (neckend). Nicht geistreich, sondern grob! In Damen-
gesellschaft versteh’ ich mich nicht zu benehmen! Gnädige Frau, in
meinem Leben habe ich mehr Frauen gesehen, als Sie Sperlinge!
Dreimal habe ich mich der Frauen wegen duellirt, zwölf Frauen habe
ich verlassen, neun sind mir untreu geworden! Ja, wohl! Es gab eine
Zeit, wo ich den Narren spielte, Honig im Munde führte, mit Compli-
menten um mich warf: Kratzfüsse machte Ich litt Liebesqualen,
seufzte angesichts des Mondes, zerfloss in Wehmuth Ich liebte
leidenschaftlich, wahnsinnig, auf alle möglichen Arten, schwatzte wie
eine Elster von Emancipation, verschwendete dank diesen süssen Ge-
fühlen mein halbes Vermögen, aber jetzt — hol’ mich der Henker —
hat’s ein Ende. Jetzt lass’ ich mich von Euch nicht anführen! Genug
damit! Schwarze Augen, feurige Augen, Purpurlippen, Wangengrübchen,

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 7, S. 247, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-07_n0247.html)