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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 308

Text

308 MESSER.

die Reihe, ein fremdes Wort, ein weitabliegendes Ereigniss schlich sich
hinein und sprengte mit seiner frechen Deutlichkeit die Kette. Sie
wollte sich die hier auf dem Lande verlebte Zeit vorstellen.

Am ersten Mai waren sie hergezogen. Sie war voller Freude in
den wunderschönen Garten gegangen und hatte in der Wohnung nur
das Nöthigste besorgt. Ja, sie hatte wie ein junges Mädchen in den
Alleen gehüpft, und als sie die grüne Schaukel in der Ecke beim
hohen Gitter entdeckte, war sie jauchzend hingelaufen.

Aber war sie nicht noch jung mit ihren 26 Jahren? Die Leute
hielten sie für dreissig, trotzdem sie in ihrer vierjährigen Ehe kein
Kind hatte.

Ah, der Kerl! Und sie erinnerte sich an die ersten Nächte. —
Nein, nein

Dann hatte sie die grüne Schaukel geküsst vor lauter Freude.
Wirklich, diese Thorheit war ihr damals eingefallen. Schon im nächsten
Moment bereute sie es doch, ekelte sich und wischte sich gut den
Mund ab. Am Abend kam er.

Ella hat ihr einmal gesagt: »Vielleicht passt ihr nicht so zu-
sammen. Schau, er kann mit seinen fünzig just dein Vater sein. Ich
will dein Glück, verstehst du, dein Glück!« Sie probirte gerade ihr
neues Kleid am Spiegel, Abends sollte sie der Verlobte ins Theater
holen

Um Gotteswillen, wohin gerieth sie nur? Im Garten? Im Garten?
Ja, die grüne Schaukel

Der Mann kam Abends nach Hause und schimpfte über die Un-
ordnung: Er begreife das nicht — sie sei keine Wirthin. Für wen
nehme er denn die Landwohnung? Sein Geld hätte er nicht gestohlen,
nein, er wolle den Garten jetzt nicht ansehen, ihre Schaukel solle der
Teufel holen, alle Lust habe er verloren, alle Lust — sie solle aus
dem Zimmer — kein Wort weiter! Hinaus!

Dann ging sie allein in den Garten. Oder ging sie nicht?
Ja, sie ging verletzt, von Neuem unglücklich in den Garten und
traf zufällig gleich auf die grüne Schaukel. Drin hatte sie sich
leicht gewiegt, und das Weinen war ihr nicht bitter vorgekommen,
es war wie ein melancholisches Lied zu der Bewegung. Als sie
nach einer Stunde ziemlich getröstet ins Zimmer kam, war er fort.
Durch das Dienstmädchen liess er ihr sagen, er speise im Re-
staurant. Dann wartete sie ein, zwei Stunden. Sie wartete voll Angst
und Demuth. Diesmal war sie ja im Unrecht. Aber er hätte nicht so
fürchterlich hart und roh sein müssen. O, o, das Aergste geschah dann.
Um zwölf Uhr kam er laut und polternd ins Zimmer. »Stehauf,
sofort!« So brutal war er noch nie gewesen. Wenn sie gleichzeitig zu
Bette gingen, musste sie ihm beim Auskleiden helfen, ebenso Morgens
beim Ankleiden. Ist es keine Gemeinheit, sich von der eigenen Frau
die Stiefel herunterziehen zu lassen, als wäre sie sein Stiefelknecht?
Freilich war er alt und bequem. Sie erinnerte sich, den gleichen Dienst
auch manchmal ihrem Vater gethan zu haben ohne Aerger und ohne

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 8, S. 308, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-08_n0308.html)