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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 332

Text

332 HOFMANNSTHAL.

Und dann, ein Wirkender, begreif dich selber ehrfurchtsvoll,
An diesen hast du mehr, als du erfassen kannst. —
Den Wanderliebenden, ich halt ihn länger nicht, allein
Der letzten Glättung noch bedarf’s, die Feile fehlt,
Ich finde sie und schaffe dir das Letzte noch.

(Er geht ins Haus.)

Die Frau.

Dich führt wohl nimmermehr der Weg hieher zurück.
Hinstampfend durch die hyacinth’ne Nacht berauscht
Vergissest meiner du am Wege, fürcht’ ich, bald,
Die deiner, furcht’ ich, nicht so bald vergessen kann.

Der Centaur.

Du irrst, verdammt von dir zu scheiden, wär’s,
Als schlugen sich die Gitter dröhnend hinter mir
Von aller Liebe dufterfülltem Garten zu.
Doch kommst du, wie ich meine, mir Gefährtin mit,
So trag’ ich solchen hohen Reiz als Beute fort,
Wie nie die hohe Aphrodite ausgegossen hat,
Die allbelebende auf Meer und wilde Flur.

Die Frau.

Wie könnt’ ich Gatten, Haus und Kind verlassen hier?

Der Centaur.

Was sorgst du lang, um was du schnell vergessen hast?

Die Frau.

Er kommt zurück, und schnell zerronnen ist der Traum!

Der Centaur.

Mit nichten, da doch Lust und Weg noch offen steht.
Mit festen Fingern greif mir ins Gelock und klamm’re dich,
Am Rücken ruhend, mir an Arm und Nacken an!

(Sie schwingt sich auf seinen Rücken, und er stürmt hell schreiend zum Fluss
hinunter, das Kind erschrickt und bricht in klägliches Weinen aus. Der Schmied
tritt aus dem Haus. Eben stürzt sich der Centaur in das aufrauschende Wasser
des Flusses. Sein bronzener Oberkörper und die Gestalt der Frau zeichnen sich
scharf auf der abendlich vergoldeten Wasserfläche ab. Der Schmied wird sie
gewahr; in der Hand den Speer des Centauren, läuft er ans Ufer hinab und
schleudert, weit vorgebeugt, den Speer, der mit zitterndem Schaft einen Augen-
blick im Rücken der Frau stecken bleibt, bis diese mit einem gellenden Schrei
die Locken des Centauren fahren lässt und mit ausgebreiteten Armen rücklings
ins Wasser stürzt. Der Centaur fängt die Sterbende in seinen Armen auf und
trägt sie hocherhoben stromabwärts, dem anderen Ufer zuschwimmend.)

1894.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 332, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0332.html)