Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 333
Text
Mitgetheilt von seinem Sohne,1) übersetzt von Dr. Carl Federn.
1859. Es gibt keine tüchtige Leistung ohne eine kleine Dosis
von Fanatismus. Für keinen Taglohn hätte jenes Feld solches Um-
graben, Eggen, Füllen und Säen bekommen. Das that ein Fanatismus,
der ein Glück für den Eigenthümer war. Jacob B. ging am Sonntag
ebenso schneidig ans Heumachen in meinem Feld wie am Montag. So
kann auch nichts die glühende Arbeit in M. M. E.’s 2) Manuscripten er-
klären, als die heftige Religiosität, die sie nicht schlafen, noch sitzen
liess, sondern zu schreiben zwang, zu schreiben Tag und Nacht, Jahr
für Jahr Unermüdlicher Fanatismus, der, wenn er sich selbst aus-
weisen könnte, der Troll ist, der bei Nacht
» das Korn drosch,
das zehn Tagwerker nicht ausdreschen konnten.«
Cushing und Lanks und Wilson sind seine Opfer und durch ihn
die Ueberwinder der Menschen. Aber die, deren Augen frühzeitig für
die breiten Anschauungen des gesunden Menschenverstandes geöffnet
werden, bleiben hoffnungslose Dilettanten und müssen jenen Wahn-
sinnigen folgen.
1834. Bitte den Himmel, dass er dir eine Sympathie mit jedem
Vorzug gebe, auch mit denen, die deinem Charakter gerade entgegen-
gesetzt sind. Wenn irgend ein Auge je auf diesen Zeilen ruht, möge
er wissen, dass der, der sie kritzelte, in kein Gespräch mit einem ge-
scheiten Menschen gerathen konnte, ohne sogleich verwirrt zu werden.
Die einfachste Frage nach den vertrautesten Dingen brachte ihn aus
der Fassung Alles, Augen, Gesicht und Verstand, ohne Rettung.
Darum aber fand er nicht weniger Achtung und Freude für die alltäg-
liche Gabe lebhaften und gegenwärtigen Verstandes, die ihm so furcht-
bar war.
1847. Wir brauchen Gesellschaft nach unseren eigenen Bedin-
gungen. Jeder Mensch besitzt Dinge, die ich brauche, und ob ich
gleich mit ihm rede, kann ich nicht auf sie kommen, weil mir der
Schlüssel fehlt. Er weiss mit diesen Dingen nichts anzufangen; ich
wüsste es wohl. Wenn ich sie aus ihm herausziehen könnte, müsste
es mit seinen Schlüsseln, seinen Einteilungen, seinen Vorbehalten ge-
1) Emerson in Concav. A memoir by Wrew Haldo Emerson. Boston and
New-York, 1895.
2) Offenbar Mary Moody Emerson, die Tante des Philosophen, die auf
seine Entwicklung grossen Einfluss genommen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 333, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0333.html)