Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 338
Text
Von Bruno Wille (Friedrichshagen).
Die Dämmerung und den moosigen Grund des Kiefernforstes liess
ich hinter mir und schaute nun von jäh abfallender Düne über den
weiten See. Träumerisch spiegelte die Fluth die verblassenden Lichter
des Abendhimmels in langen Streifen — feuergelb — lila — violett
Drüben die Hügelkette mit den Kiefern hob sich schwarz, scharfgezackt
von der veilchenfarbnen Wolkenwand, durch deren Risse es glühte wie
Feuerlilien. Am hohen Himmel flirrte goldiger Glanz — weiter hinauf
verschwommen in mattes Blaugrün. Wie eine silberne Wasserrose auf
grüner Fluth erblühte schüchtern der Abendstern. Ein Klang bebte
durch all das Leuchten — wehmüthig wie ein Mahnen an scheidende,
halb versunkene Seligkeit
Horch, Glockenläuten — verschollen wie aus der Tiefe des Sees.
Oder zittert es aus der Tiefe hier innen? Vielleicht auch läutet des
Waldes Seele sehnsüchtig entgegen dem keuschen Knospenfest. Oster-
odem — jugendfrisches Pulsen — heimliches Weben. Baumwurzeln
saugen mit allen Fasern — schon reckt grüne Sprossen der vergilbte
Rasen — die kleinen Moospolster hier am Saume des Kiefernforstes
glimmern wie Kupfer, die goldigen Blüthenhärchen angehaucht von
letzter, düstrer Abendgluth. Im Walde dort hinten wallt schon ein
Schleier geheimnissvoll zwischen den violetten Stämmen. Schwarze Ge-
stalten kauern im dürren Farrenkraut — Hulemännchen, Hulemännchen!
Wachholderbüsche sind es — des Nadelwaldes Zwergenvolk. Und auf
einmal schaut mich Alles so eigen an — Wald und See sind ein
Märchen — die ferne Glocke klingt wie das Raunen einer weisen
Muhme:
»Weisst du noch — wie du ein Kind warst — und Alles
glaubtest, was der Wald von Wundern rauschte und munkelte? Da
war dein Herz so voll, so reich! Bäume und Sträucher, Blumen und
Gewässer, Sonne, Wind und Wolken hatten fühlende Seelen. Die Eichen
und Kiefern dort hinten am Waldfliess waren verwunschene Ritter und
Frauen — vor Zeiten hergepilgert, die Prinzessin zu erlösen. Und
in ihrem Schatten das Wässerlein war die Prinzessin Weisst
du noch?
Wer sie verzaubert hatte? Als verhutzelte Holzsammlerin schlich
die Böse zwischen den Kiefern — konnte aber mehr als Reisig lesen.
Weisst du noch, wie aus einem Fuchsbau die Hulemännchen kamen
und hinter dem Rücken der Alten Fratzen schnitten? Die drehte sich
hurtig um — husch, die Kleinen in ihren Versteck! Doch einen er-
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 338, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0338.html)