Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 328
Text
Von Hugo V. Hofmannsthal (Wien).
Nach einem antiken Vasenbild: Centaur mit verwundeter
Frau am Rand eines Flusses.
Der Schauplatz im Böcklin’schen Styl. Eine offene Dorfschmiede, dahinter das
Haus, im Hintergrunde ein Fluss.
Der Schmied an der Arbeit, sein Weib müssig an die Thüre gelehnt, die von
der Schmiede ins Haus führt. Auf dem Boden spielt ein blondes kleines Kind mit
einer zahmen Krabbe, in einer Nische ein Weinschlauch, ein paar frische Feigen
und Melonenschalen.
Der Schmied.
Wohin verlieren dir die sinnenden Gedanken sich,
Indess du schweigend mir das Werk, feindselig fast
Mit solchen Lippen, leise zuckenden, beschaust?
Die Frau.
Im blüthenweissen, kleinen Garten sass ich oft,
Den Blick aufs väterliche Handwerk hingewandt,
Das nette Werk des Töpfers: Wie der Scheibe da,
Der surrenden im Kreis, die edle Form entstieg,
Im stillen Werden einer zarten Blume gleich,
Mit kühlem Glanz des Elfenbeins. Darauf erschuf
Der Vater Henkel, mit Akanthusblatt geziert,
Und ein Akanthus-, ein Olivenkranz wohl auch
Umlief als dunkelrother Schmuck des Kruges Rand.
Den schönen Körper dann belebte er mit Reigenkranz
Der Horen, die vorüberschwebend lebenspendenden.
Er schuf, gestreckt auf königliche Ruhebank,
Der Phädra wundervollen Leib, von Sehnsucht matt,
Und drüber flatternd Eros, der mit süsser Qual die Glieder füllt.
Gewalt’gen Krügen liebte er ein Bakchosfest
Zum Schmuck zu geben, wo der Purpurtraubensaft
Aufsprühte unter der Mänade nacktem Fuss,
Und fliegend Haar und Thyrsusschwung die Luft erfüllt.
Auf Todtenurnen war Persephoneias hohes Bild,
Die mit den seelenlosen, todten Augen schaut,
Und Blumen des Vergessens, Mohn, im heil’gen Haar,
Das lebensfremde, asphodelische Gefilde tritt.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 328, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0328.html)