Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 346
Text
Weltempfindung mit der Rührung beginnt: »Habe nun, ach « Und
ein rauher Krieger, wie Wallenstein, erfüllt von weittragenden Plänen,
darf zur Zeit Schiller’s gefühlvoll werden: »Dich hab’ ich geliebt «
Und Maupassant entspricht unserer geheimsten Seelenregung,
wenn er die Entdeckung macht, dass »das sittliche Wesen eines Jeden
von uns ewiglich einsam durch das ganze Leben hindurch verbleibt«.
Wir verlangen eine Vertiefung der Hauptperson als Persönlich-
keit, die, wie immer geartet, das Leben reicher und vielfältiger wieder-
spiegelt, als wir an uns zu beobachten Gelegenheit hätten. Ob die
raffinirte Zergliederung der Eindrücke wie bei Gabriele d’Annunzio,
ob die tiefe Träumerei einer Dostojewsky die entsprechende Erfüllung
dieser Forderung bedeutet, mag dahingestellt bleiben.
Wir benöthigen die Literatur nicht wie das Volk als geistige
Nothdurft, um in Mussestunden ein Leben in der Phantasie zu führen,
sondern als Anregung, ein wenig Phantasie in das gemeine Leben
hineinzutragen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 9, S. 346, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-09_n0346.html)