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Burgtheater. »Neigung.«
Schauspiel in vier Aufzügen von
J. J. David.
Die Première liess deutlich er-
kennen, wie stark das Stück bei
der Wiederholung am zweiten
Abend durchfallen werde. Mitleid
mit dem anwesenden Autor be-
hinderte vorerst eine kräftige Ab-
lehnung. Obwohl schon im Mannes-
alter stehend, liefert er immer
noch kindische Gymnasiasten-
dramen. Die Figuren, die er über
die Bühne humpeln lässt, reden
das confuseste Zeug; nicht ein na-
türliches Wort springt hervor, dem
eine wirkliche Beobachtung zu-
grunde läge. Nur hin und wieder
taucht eine unbewusste Unwahrheit
von seltener Echtheit auf als Perle
des Dialoges. Von einer psycho-
logischen Entwicklung ist keine
Spur. Aber auch jeder Bewegung
durch Handlung geht der Autor
scheu aus dem Wege; offenbar
glaubt er in seiner Naivetät, gerade
dieser Mangel mache das »mo-
derne« Stück aus. Wir müssen
so auf Treu und Glauben hin-
nehmen, dass ein alter Cassier
eine Veruntreuung begangen hat,
nur weil er es sagt, obwohl wir dem
Einfaltspinsel eher zumuthen, dass
er sich die Missethat nur selbst
einredet und es in Wahrheit gar
keinen ehrlicheren Kerl gibt als
ihn. So narrt den Autor die Bühnen-
optik. Nicht in der Cassa, sondern im
Kopf des angeblichen Defraudanten
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stimmt es nicht. Der David’sche
Ernst erreicht nur das Niveau
jener Sprechcouplets in Possen, in
denen Shakespeare oder irgend
ein Classiker parodirt wird. In
dieser Einlagetragik bleibt Alles
stecken. Auch die Liebespaare
geben sich nur auf Gemeinplätzen
Rendezvous. Der Titel »Neigung«
passt zu der Inhaltslosigkeit des
Stückes nicht besser, als wenn
man unter ein Bild, das ein bürger-
liches Interieur darstellt, die auf-
klärenden Worte setzen würde:
Ein See. Die Darsteller waren
nicht imstande, die beklemmende
Langweile auch nur auf Minuten
zu unterbrechen. Farb- und tempe-
ramentlos schlichen sie über die
Bühne. Niemand machte auf eigene
Faust Charakterisirungsversuche;
über den Geist des Autors kam
man nicht hinaus. Ehemals galt
es als Wiener Hetze, wenn Le-
winsky einmal den alten Drahrer
copirte; heute weist ihm Director
Schlenther, der sich voreilig schon
als Wiener gerirt, allen Ernstes
eine solche Rolle im Burgtheater
zu. Früher lag zwischen diesem
Theater und einer Theaterschule
ein weiter Weg. Jetzt mimen
Anfänger an der noch so ge-
nannten ersten Bühne. Nicht ein-
mal körperlich voll entwickelten
Eleven muthet man hier schon
die Anstrengungen grosser Rollen
zu und zahlt ihnen ärmliche Monats-
gagen, die sich, für den Tag berech-
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