Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 401
Ernest La Jeunesse (Albert, Henri)
Text
Wiener Rundschau.
15. APRIL 1898.
ERNEST LA JEUNESSE.
Von Henri Albert (Paris).
Während der erregten Tage, die wir bei Gelegenheit der letzten
Processe durchmachen mussten, schrien die Zeitungsverkäufer auf den
Strassen unter anderen auch ein illustrirtes Blatt aus. Es führte die
energische Exclamation »Ouste!« als Ueberschrift und sollte auf das
anzügliche »Pst!« antworten, in dem Forain und Caran d’Ache die
Thaten des Kriegsministeriums verherrlichten. Dort waren die Dinge
des Alltags von einem höheren Gesichtswinkel aus gesehen, und man
merkte gleich, dass man es mit Jemandem zu thun hatte, der es weder
mit der einen noch mit der anderen Partei halten wollte. Gleich auf
dem ersten Blatte war der Corse Napoleon abgebildet, der einen Poli-
zisten nach der Strasse der Staatsstreiche fragt, denn »das ist die
Strasse, die nicht versperrt ist«. Weiter war von einem Officier die
Rede: «le cerveau le plus ouvert de l’armée«, weil er auf den Kopf
gefallen war. Und so ging es weiter, Scherz, Satyre und Ironie wollten
kein Ende nehmen.
Der Text und die Zeichnungen rührten aus derselben Feder her.
»Texte et icôneries d’Ernest La Jeunesse« hiess es auf dem Titel-
blatte.
Wie alle Unternehmungen dieser Art hatte das Journal nur eine
ephemere Dauer. Aber es hatte von einer ganz eigenthümlichen Geistes-
richtung ein Zeugniss abgegeben, und die Aufmerksamkeit wieder
einmal auf den in jüngster Zeit so viel umstrittenen, jungen Dichter
Ernest La Jeunesse gelenkt.
Und ich denke zurück auf das seltsame Schicksal dieses sonder-
baren Menschen, der sicher eines der eigentümlichsten Gewächse
unserer an merkwürdigen Phänomenen so reichen zeitgenössischen
Literatur ist.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 11, S. 401, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-01-11_n0401.html)