Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 518

Hugo Wolf-Verein, »Gesammelte Aufsätze über Hugo Wolf«

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 518

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518 NOTIZEN.

lung von Aufsätzen über die
künstlerische Eigenart und Bedeu-
tung des von ihm patronisirten
musikalischen Lyrikers erscheinen
lassen. Wir behalten uns vor, dem-
nächst in der Wiener Rundschau
Hugo Wolfs Lieder einer ein-
gehenden Beurtheilung zu unter-
ziehen. Allerwärts in Deutschland
finden sich Gruppen enthusiastischer
und mit grosser Heftigkeit ihm er-
gebener Anhänger. Seine rein
lyrischen Gebilde haben zum ersten-
mal das merkwürdige Phänomen
gezeitigt, dass für einen Lieder-
componisten mit der Glut und
dem Eifer gefochten und agitirt
wird, die sonst nur Religions-
stifter und Sectenbegründer zu
entfachen imstande sind. Es ist
also nicht zu bezweifeln, dass
Hugo Wolf, nachdem sich unter
den Musikern, die unter seinem
Banne stehen, Künstler von der
Qualität eines Josef Schalk finden,
einen Ton angeschlagen hat, der
fein organisirte Naturen unserer
Zeit als etwas Erwartetes, Er-
sehntes trifft. Von den sechs Ver-
fassern, deren Beiträge die ge-
nannte Publication enthält, hat
Josef Schalk die eingehendste, ver-
ständigste und anschaulichste Be-
sprechung des Wesens und der
Verfahrungsart der Wolfschen
Kunst geliefert. Man liest bei ihm
den fein empfindenden, vollendeten
Musiker selbst aus jeder Zeile
heraus, die man nicht selbst unter-
schreiben möchte. Alle kritischen
Bannerträger Wolfs stimmen darin
überein, dass sie das Wesen
seiner Kunst als die Uebertragung
der Wagner’schen Principien des
dramatischen Ausdruckes auf das
Lied bezeichnen. Demgemäss lege
Hugo Wolf das Hauptgewicht auf

die richtige Declamation, erfinde
seine Melodie aus der Grund-
stimmung des Gedichtes heraus,
emancipire das Clavier als »be-
gleitendes« Instrument und weise
ihm die Rolle des Wagner’schen
Orchesters zu. Also das entschei-
dende Uebergewicht liegt bei
Wolf auf dem Charakteristischen
des Liedes. Das melodische Ele-
ment soll auch in dieser kleinen
Kunstform genau nur soweit
zur Geltung kommen, als die
detaillirtesten Anforderungen der
Dichtung ihm Raum gewähren.
Für den bestimmten und den be-
stimmenden Eindruck, den die
Lieder Wolfs hinterlassen, ist
allerdings die durchaus gerecht-
fertigte Annahme, ja die Gewissheit,
dass Wagner gegen eine derartig
übergreifende Anwendung seiner,
aus dem Wesen der dramatischen,
nicht der lyrischen Kunst ge-
schöpften Principien lebhaft prote-
stirt haben würde, nicht ent-
scheidend. Wolf ist als künstlerische
Erscheinung reich genug, um mit
ihm Gleichgestimmte in den Kreis
seines Wesens und Empfindens,
seines Singens und Sagens hinein-
zuziehen. Er ist auch als Mensch
autokratisch genug, um diesen
wenigen Verstehenden und ihm
Nachempfindenden eine hübsche
Anzahl jener geistigen Nullen
anzureihen, bei denen es nur
Zufallssache ist, auf welches
Schlagwort sie eingeschworen
werden. Wer sich in Wolfs
Art eingelebt und in ihr eine
beglückende, künstlerische Be-
friedigung findet, wird sich
sicher niemals den Vorwurf
zu machen haben, dem Trivialen,
dem Gewöhnlichen, dem Geist-
losen oder Speculativen zum

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 13, S. 518, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-13_n0518.html)