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England aber gehören zunächst Burne-Jones und Orchardson zu den
grossen englischen Künstlern, alles andere ist Nebensache, und Böcklin,
wäre er selbst ein Engländer, würde als Sondererscheinung von der
Gemeinschaft dieser Künstler ausgeschlossen sein. Es fehlt ihm eben
das Etwas, was jene beiden gemeinsam haben, das national Englische.
Es ist immer dasselbe, aber wie eine Wunderblume kleidet es sich in
tausend blendende Gestalten. Es belebt die eisige Schönheit der Antike —
Alma Tadema, es kehrt in die Hütten der Armen — Herkomer, es
blüht in frischer Landschaft unter derben, gesunden Bauern — Stanhope
Forbes, es ruht träumend aus in dämmrigen Empiresalons, crême de
la crême — Orchardson, es spielt mit funkelnden Märchenphantasien —
Walter Crane, es vibriert in krankhaft exaltierten Nerven — Rosetti,
und es durchzittert als grosse Harmonie in ewiger Wunderschönheit
die Seele — Burne-Jones. Alle sind sie Brüder, diese grossen Künstler,
wie verschieden sie in Stil und Motiven auch sein mögen, denn der
tiefe Grundaccord ihrer Bilder ist allemal dieses nationale Etwas. Sie
sind eben Engländer, sind die Kinder einer grossen, nationalen Kunst.
Dass sie ein nationales Bedürfnis ist, keine blosse »Richtung«,
sondern die tausendfältige Äusserung einer grossen, starken Geistes-
cultur, das ist es, was die englische Kunst so unendlich hoch über die
deutsche und selbst die französische hebt.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 532, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0532.html)