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punkt ist annoch das Geld. Wenn Herr Jansen vor Fräulein Pieterse
auf die Knie fiele und ihr in passender Weise klar machte, dass er
die Absicht habe, sie zur Würde der Mutterschaft seiner zukünftigen
Kinder zu erheben, so würde ihre Wohlanständigkeit für sie davon
abhängen: wird er im Stande sein, sie vor der Margot’schen Vaga-
bondage zu bewahren?«
— »Herr Jansen scheint ein gut gehendes Geschäft gehabt zu haben.
Wenn Fräulein Pieterse, dieses Geschäftes nur in zweiter Linie achtend,
geantwortet hätte: »Na, wie denn!« oder: »Sie sind sehr
liebenswürdig!« oder gar: »Ich will ’mal sehen «, dann
wäre Fräulein Pieterse sehr schamlos gewesen. Jetzt ist sie tugendhaft
und gar stolz auf ihre Tugend, denn, wie Sie sehen, erzählt sie es
jedermann, dass sie das ganze Jahr hindurch mit Herrn Jansen
zusammenlebt.«
— »Wer ist der Erfinder dieser Tugend oder ist man sich
vielleicht darüber streitig, wie bezüglich der Buchdruckerkunst?«
— »Weder diese Tugend noch diese Kunst ist erfunden worden.
Die Umstände haben die praktische Anwendung einer Sache, die schon
da war, zur Nothwendigkeit gemacht, o Kami. Die wachsende Wiss-
begierde verbunden mit dem rapideren Umsichgreifen der Ideen sind
der Kunst zu drucken, die man als längst bekannt doch nicht anwandte,
zu Hilfe gekommen die minder dringenden Bedürfnisse waren den
Kosten einer primitiven Belehrung unangemessen gewachsen.«
— »Und die geschlechtliche Ehrbarkeit, o Kami, der Ihr mich
unrechtmässigerweise von meinem Thema abbrachtet, eine geschlecht-
liche Ehrbarkeit existiert nicht. Sie ist nur der Name für eine der
zahlreichen Anstrengungen, das wirtschaftliche Bedürfnis zur Höhe
eines Princips zu erheben und aus der Schwierigkeit des Lebensunterhalts
gewaltsam Tugenden herzuleiten.«
— »Im Anfang, Kami, waren alle Kinder illegitim und niemand
dachte daran, ein Mädchen zu verachten, weil es Mutter war. Das
wäre gleich erachtet worden, als hätte man einer Blütenknospe vor-
geworfen, dass sie die Kühnheit hatte, sieb zu entfalten.«
— »Das dauerte solange, als die Nahrung nicht mangelte.«
— »Man machte dann den jungen Frauen verständlich, dass sie
für den Unterhalt ihrer Kinder sorgen müssten.«
— »Das war ihnen hinfort ein Grund, sich a priori zu unterrichten,
ob der Vaterschaftscandidat auch einen gutgehenden Laden sein Eigen
nennen könne.«
— »Viele sagten ja und manchmal war es wahr. Aber es gab auch
welche, die trotzdem sich nicht um ihre Kinder kümmerten. Sie stellten
sich, als wenn sie es nicht verstünden, wenn so eine junge Mutter sie
einlud, mit ihr die Sorge des Haushalts zu theilen.«
— »Um so ein Ausweichen zu verhindern, bestimmte man, dass
eine Eheschliessung stattfinden müsse: Wer Vater zu werden wünschte,
der musste das im vorhinein ausdrücklich erklären. Es war wohl etwas
Gutes dabei, o Kami. Aber was nicht gut war, das war, dass man
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 551, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0551.html)