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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 559

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NOTIZEN. 559

Gastspiel des Herrn Engels.
Der schon seit langen Jahren in
Berlin beliebte Komiker Herr Engels
hat endlich sein seit vielen Jahren pro-
jectiertes Gastspiel im Burgtheater
absolviert. Es ist nun sehr fraglich
geworden, ob ein inzwischen so
ausgewachsener Darsteller noch
nach Wien umgesetzt werden kann.
Umsomehr, als es sich in diesem
Falle nicht um moderne Spiel-
weise handelt, die erzieherisch auf
das Publicum wirken soll, dem-
nach naturgemäss nicht beim ersten
Erscheinen gleich vertraut an-
muthen könnte, sondern vorwiegend
um Komik, die augenblicklich ein-
schlagen soll. Herr Engels ist ein
Epigone des prächtigen Helmer-
ding, der seine komischen Wir-
kungen theils durch krampfhaftes
Niederhalten des Temperaments,
theils durch Vorspiegeln eines
nicht vorhandenen Gemüthslebens
erzielte. Dieser geisselte jenes un-
freie, aber doch Ungebundenheit
heuchelnde Berlinerthum, welches
man heute nur mehr in Verhältnis-
massig wenigen Exemplaren an-
trifft. Man braucht nur Herrn
Tyrolt zu nennen, um sofort zu
erkennen, wie specifisch Berlinerisch
die Komik des Herrn Engels ist.
Es liegt gar keine Notwendigkeit
vor, für Stücke wie »Goldfische«,
»Ein Attaché«, »Der Probepfeil«
nach neuen Darstellern zu fahnden,
weil diese veralteten Machwerke
bei der dringlich gewordenen
Säuberung des Repertoires überhaupt
gänzlich auszuscheiden sein werden.
Für Charakterrollen aber im Genre
des Malers Crampton verfügt das
Burgtheater über einen weit ge-
eigneteren Schauspieler, nämlich
Herrn Sonnenthal, der die Linien
der Dichtung künstlerisch deutlicher

machen könnte als Herr Engels.
Wie dieser die Rolle anlegte, dürfte
er den fünften Act nicht erleben,
sondern müsste schon im vierten
an Säuferwahnsinn zugrunde gehen.
In derlei Partieen hat Herr Engels
die Art Laroche’ und Baumeisters,
die er wohl studiert haben mag,
für Berlin in seiner Person locali-
siert. Bei uns zerfällt er wieder in
diese beiden Naturen, in die er
sich zu Einer eingelebt. Der Mangel
an Ursprünglichkeit dürfte sich an
einem Orte, wo man seine Ur-
sprünge so genau verfolgen kann,
bald fühlbar machen. Damit rückte
er in die zweite Darstellerreihe,
die ohnehin im Burgtheater über-
füllt ist. Der zunehmenden Ver-
armung dieser Bühne an führen-
den Kräften würde die Ge-
winnung des Herrn Engels nicht
wesentlich abhelfen, und man
mag nicht wünschen, dass es
einem in Berlin so geschätzten
Localschauspieler wieder so er-
gehe, wie seinerzeit dem sei.
Reusche, der auch in einem
Alter wie Herr Engels hieher
gezogen wurde und trotz seiner
anfänglichen Erfolge in Wien
nicht Wurzel zu schlagen ver-
mochte. Es liegt im Interesse
des Herrn Engels, den höchst
ehrenvollen Beifall, den er im
»College Crampton« errungen,
nicht zu überschätzen. In diesem
Stücke und im »Probepfeil« trat
zugleich auch Fräulein Haeberle
als Gast auf in Rollen, in denen
— seien sie nun gut oder schlecht
gespielt — weder Talent, noch
Talentlosigkeit verrathen werden
kann. —i—.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 14, S. 559, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-14_n0559.html)