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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 572

Text

EIGENTHÜMLICHE POESIE.
Von PAUL SCHEERBART (Niederschönhausen). DER HÖFLICHE EREMIT.
Ein Menuett.

»Guten Tag!« sagte schmunzelnd der höfliche Eremit. Und
er schüttelte dabei seinem Freunde immer wieder herzlich die Hand.

»Sei mir willkommen!« rief begeistert der grosse Einsiedler.
Und dabei rückte er seinen Ledersessel ans Fenster und drückte
seinen Freund in den Ledersessel hinein.

»Hier hast Du Cigarren!« schrie der allzeit einsame Mann
seinem Freunde ins Ohr. Und gleichzeitig zündete er ein Zündholz
an, das er in brennendem Zustande dem Freunde zierlich hinhielt.

»Wir trinken Grog!« kreischte der herrliche Wirt seinem
Gaste ins Ohr. Und bald brodelte das kochende Wasser.

Und dann wards gemüthlich in der Einsiedlerhöhle.

Der Herr des Hauses sprang und tanzte vor Vergnügen und
erzählte dabei in Einem fort.

Ja — die Höflichkeit!

»Mein guter Freund!« brüllte der höfliche Mensch. Und dabei
nahm er seinen schönen Revolver von der Wand und schoss einen
Spatz, der auf dem Fensterbrette sass, mausetodt.

Der Freund drückte sich.

Der höfliche Eremit drückte ihm herzlichst hundert Mal die
Hand und bat ihn, ja recht bald wiederzukommen.

Der Freund drückte sich.

Der Spatz aber war todt — ganz todt.

ICH LASS’ DICH NICHT LOS!
Ein Zerrbild.

»Ich will, was Ich will!« schrei ich ihm schrill wie eine
Lokomotiven- Pfeife dicht überm Ohrläppchen ins immer noch
nicht ganz taube Ohr.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 15, S. 572, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-15_n0572.html)