Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 601
Text
Wiener Rundschau.
1. JULI 1898.
DIE MAIWIESE.
Von RICARDA HUCH (Wien).
Da ich jetzt, nach zehn Jahren der Verbannung, beim Begräbnis
des Prinzen Asche das alte Schloss wieder betrete, kommt mir die
vergangene Zeit ins Gedächtnis, und ich finde keine Ruhe vor den
Phantomen, die aus allen Winkeln zusammenfliessen und mir nach-
schleichen. Die letzte Nacht, die ich in dem grossen Spiegelsaale zu-
brachte, wo die Leiche des Prinzen aufgebahrt stand, lag mir eine
liebliche, oder soll ich sagen traurige oder lächerliche Scene im Sinne,
ich spreche nämlich von der Maiwiese. Aus den Fenstern, die der
sommerlichen Wärme wegen offen standen, konnte ich sie zu einem
grossen Theile überblicken, ich sah die Trauerbirke, unter der die kleine
Ulla lag und heimlich weinte, die Spitzen der schwarzen Cypressen,
da wo Prinz Asche und Reine zusammen philosophierten, und die
Kastanienallee, wo der arme Graf Leo steif in seinem Blute gefunden
wurde. Die grüne Welt lag todtenstill eingehüllt in die reine Bläue der
Mondnacht und mahnte mich an den Garten des Paradieses, nachdem
das erste Menschenpaar daraus vertrieben war. Anders sah der Park aus
an jenem Maitage, im Geflimmer der Seide, unter Früchten und Blumen,
überwogt von einem Äthermeere seligen Gelächters, und fast möchte
ich es alles für einen Traum halten, wenn nicht durch das Blätter-
dickicht der genannten Allee die weisse Mauer des Findelhauses durch-
schiene, das jenen Aberwitz verewigt, zu dem ich selber Anlass ge-
geben habe. Folgendermassen.
Dass Prinz Asche — für mich nämlich blieb er immer, wie als
Kind, Prinz Asche — die Weltverbesserungssucht an sich hatte, war
mir von jeher zuwider gewesen. Denn ich bin der Meinung, dass man
die Leute in ihrem Schlamme soll sitzen lassen, nicht gerade damit
sie darin ersticken, sondern damit sie sich selber herausarbeiten, wenn
es ihnen endlich übel geworden ist. Wem würde es einfallen, Kröten
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 601, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0601.html)