Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 616

Burne-Jones (Schölermann, Wilhelm)

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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 616

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BURNE-JONES.
Von WILHELM SCHÖLERMANN (Wien).

Burne-Jones ist gestorben. Die Tagesblätter brachten vor einigen
Tagen eine kurze Notiz über seinen Tod unter der Rubrik »Kunst und
Wissenschaft«. Das war alles. Wer näheres erfahren wollte, musste
englische Zeitungen lesen.

Wer war eigentlich dieser Künstler, von dem man so viel gehört
und so wenig gesehen hat? Die grösseren illustrierten Zeitschriften
brachten von Zeit zu Zeit Reproductionen nach seinen Werken; ein
Original kam äusserst selten über den Canal herüber. Burne-Jones
hatte es nicht nöthig, zu uns zu kommen. In England ehrte man ihn
lange vorher, ehe sein Ruf über die Grenzen seines meerumspülten
Vaterlandes hinausdrang.

Wer war also Sir Edward Burne-Jones? »Ein englischer Prä-
rafaelit!« tönt es im Chor der allwissenden Kunstbanausen Deutschlands
und Österreichs. Natürlich, damit ist ja auch alles gesagt. Was ein
Prärafaelit ist, braucht man doch nicht erst zu erklären. Das weiss
doch jeder »Gebildete«, der die Zeitungen liest.

Die noch mehr wussten als dies, konnten auch wohl erzählen,
dass Burne-Jones der intime Freund seines Meisters Dante Gabriel
Rossetti gewesen. Das war er auch, solange bis das Morphium die
heisse Seele des painter-poet mit seinem schleichenden Gift umhüllte.
Bis zum letzten schweren Todesseufzer blieb Burne-Jones an seines
Freundes Bette. Dann arbeitete er allein weiter. Denn Burne-Jones
gehörte zu den Künstlern, die in der Einsamkeit lebten und schafften.

Einer wohlhabenden Classe angehörend, die wie der altenglische
Adel den traditionellen Besitz irdischer Güter als etwas selbstver-
ständliches zu betrachten gewohnt ist, hatte das Leben für ihn nicht
die Bedeutung eines ewigen Kampfes gegen die Aussenwelt. Dieser
irdische Überfluss, dieses Zurückweichen aller kleinlichen Sorgen in
weiteste Fernen ist es ja, was die vornehme Lebensführung und An-
schauung allmählich zu einer angeborenen macht. Die letzte Blüte
solcher Lebensfülle äussert sich aber in seltsamer Umkehrung häufig
in der unendlich zarten und verschleierten Melancholie, die sich selbst
geniesst in der vollen Hingebung an die eigene Seelenstimmung. Aus
dem Geist dieser Schwermuth ist Burne-Jones’ Kunst geboren.

Selten mag die äussere Erscheinung eines Künstlers so mit dem
Wesen seiner Kunst zu einer Einheit verschmolzen gewesen sein, wie
bei ihm. Eine feine, schlanke Gestalt, die Haltung etwas vorgebeugt,
das bleiche Gesicht von einem weichen Vollbart mild umrahmt, die

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 616, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0616.html)