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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 615

Text

DIE MAIWIESE. 615

Ich verfehle niemals die Jahresberichte der Findelhausverwaltung
zu lesen, in welcher der Commerzienrath, seiner Bedeutung gemäss,
eine Hauptrolle spielt: erstlich wegen der historischen Einleitung, die,
in einem gelbspiegelnden Fettglanz an Selbstzufriedenheit und Tugend-
lust schimmernd, die vorgefallenen Irrthümer und Irrungen berichtigt;
und zweitens, weil am Schlusse die neuhinzugekommenen Findlinge
aufgezählt werden, welche die in Betracht kommende Bevölkerung
sich gewöhnt hat, auf der einstmaligen Maiwiese niederzulegen: kleine
Opfer unschuldigen Blutes, die die Menschheit der furchtbar geheimnis-
vollen Gottheit darbringt, die sie Liebe nennt.


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 615, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0615.html)