Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 614
Text
soweit er es nämlich konnte. Er fuhr äusserlich fort so zu leben, wie
er gewohnt war, spielte sogar seine Ball- und Laufspiele im Parke,
aber er schien mir kein lebendiger Organismus mehr zu sein, sondern
eine künstliche Figur, und eine solche, in der die Federn schlaff ge-
worden sind. Es war mir deshalb erwünscht, dass der Prinz mich
bat, die Residenz zu verlassen, was wohl weniger geschah, um das
Volk in seiner Meinung zu bestärken, als ob ich der Anstifter der
Maiwiese gewesen wäre, als weil er nicht durch mich an Reine, meine
Nichte, erinnert sein wollte. Bei dieser Gelegenheit, da er wie in
früheren Zeiten spät abends in mein Zimmer kam, um mir seinen
Willen mitzutheilen, schien es mir einen Augenblick, als wolle sich
mir sein Herz aufthun. Aber es schloss sich wieder zu, ohne dass ich
einen Versuch machte, ihm zu Hilfe zu kommen, ich weiss nicht warum.
Als er klein war, pflegte er seinen gemessenen Fürstenschritt,
den er schon früh angenommen hatte, wenn er ihm nicht von Natur
eigen war, zu beschleunigen, wenn er den langen Gang hinunter in
mein Studierzimmer kam, so dass er im vollen Laufe bei der Thür
anlangte. Von dieser Gewohnheit war ihm soviel geblieben, dass ich
den charakteristischen Rhythmus selbst in den letzten Tagen, wo er
müde und verwischt herauskam, doch noch erkannt hatte. Damals
klang er mir die ganze Nacht in den Ohren; denn ich hatte
lange gehorcht, ob der Prinz nicht wiederkäme, wie er so vielemale
gethan hatte, um mir einen letzten und allerletzten Einfall mitzutheilen.
Aber ich habe ihn lebend nicht wieder gesehen.
Kurz ehe ich die Residenz verliess, hat sich das ereignet, was
mich eigentlich bewog, diese Erinnerung niederzuschreiben. Es wurde
nämlich, bei grauendem Morgen, in warme Tücher eingewickelt ein
kleines, augenscheinlich neugeborenes Kind im Parke gefunden, und
da man näher zusah, zeigte es sich, dass eine ganze Anzahl über
der grossen Fläche verstreut war, gerade als ob über Nacht ein
Schnee von kleinen Menschenseelen gefallen wäre. Es war Februar,
ein Tag, wie es solche im Vorfrühling gibt, ebenso wonnig wie
traurig; über den unabsehbaren Wiesen schwebte eine dunstige
Feuchtigkeit und umschleierte die braunen Gerippe der Bäume. Die
Lauheit der thauigen Luft schien zum Blühen locken zu wollen, aber
die Erde liess sich die Liebkosung wehmüthig gefallen, ohne ihr
glauben zu können. Es blühte noch nichts ringsumher als diese
winzigen Wesen, die wie verfrühte, zitternde Anemonen oder Schnee-
glöckchen unter den Bäumen lagen, einige ganz still, andere wimmernd
wie junge Kätzchen. Da natürlich keine Möglichkeit war, der leicht-
fertigen und listigen Eltern habhaft zu werden, und Prinz Asche sich
für die Sprösslinge der Mainacht verantwortlich fühlen mochte, stiftete
er den Theil des Parkes, wo die Makkabäer ihr Fest gefeiert hatten,
zu einem Findelhause, das sich jetzt inmitten eines weiten Gartens
stattlich erhebt. Durch das eiserne Gitter hindurch habe ich die
kleinen Namenlosen gesehen, wie sie lustig über ihren grünen Rasen
flatterten und mit silbernen Kinderstimmen jauchzten und schrien.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 614, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0614.html)