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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 602

Text

602 HUCH.

in die gute reine Luft zwischen die Vögel zu werfen, da sie ja doch
nur in ihren Dreck wieder herunterplumpen würden. Dagegen betrachtete
Prinz Asche die Welt als eine grosse Zwangs- und Besserungsanstalt,
in welcher er der Oberaufseher wäre, und modelte in seinem Geiste
beständig Mustereinrichtungen, eine Mustergesellschaft voll Muster-
menschen, die er vermöge seiner einflussreichen Stellung nun auch
in Scene zu setzen dachte. Man hätte ihn für einen Menschenfreund
halten können, als was er selbst sich auch ansah, aber im Grunde
konnte er die Menschen sammt und sonders nicht leiden, sie waren
ihm nur wert wie dem Schuster das Leder, woraus er die Stiefel
anfertigen soll. Mich täuschte die junge Gestalt, die sich biegen konnte
wie eine Cypresse im Winde, und das bescheidene Lächeln in seinem
Herrengesichte nicht. Ja, ein Herrengesicht hatte er! Der ganze Hoch-
muth eines seit Menschengedenken regierenden Geschlechtes war auf
der unduldsamen Stirne und der vollen, weichlich und verächtlich ge-
senkten Unterlippe abgebildet, und war auch in seiner Seele, wenn
er sich auch anders äusserte, als bei seinen Ahnen. Denn seiner Ge-
burt und seiner bevorzugten Stellung schämte er sich von Natur, und
erst meine häufigen Vorträge über den Nutzen der Ansammlung gewisser
Geschlechts-Eigenschaften und -Sitten in einer kastenartigen Classe
hatten einen theoretischen Aristokratismus in ihm geweckt, so dass er
sich über die unabsehbare Reihe seiner Vorfahren sogar auf drollige
Weise freuen konnte. Und doch besass er einen Stolz und eine
Menschenverachtung! Es nahm mich oft wunder, dass seine Umgebung
unter diesem eiskalten Hauche nicht zusammenschrumpfte und in un-
auffälliges Nichts zerbröckelte; aber es that den Feiglingen sogar wohl,
sich unter seiner Veredlungsruthe zu winden. Vielleicht zauberte ihn
das gerade so fest an Reine, meine Nichte, dass er ihres Geistes auf
diese Weise nicht habhaft werden konnte. Denn einmal lag es in ihrer
friedfertigen Natur, die Dinge, deren Mängel sie, unkritisch wie sie
war, nicht betrachtete, zu nehmen wie sie sind; sie war immer mehr
geneigt, ja als nein zu sagen. Dazu kam es, dass sie durch eine Ver-
kettung von Umständen, die ich hier nicht zu berühren gedenke, jahre-
lang in Amerika gelebt hatte, wo man mit dem Fortschritte weniger
Federlesen macht als bei uns, so dass ihr vieles, was hier für um-
stürzlerisch gilt, abgetragen und selbstverständlich vorkam. Dass er
im Angesichte des Hofes Thee, Wasser oder Limonade statt Wein
trank, in breiten, platten Reformschuhen einhergieng, vor Tage mit
seinem Zweirade die entsetzten Bürgersleute vor sich her fegte, war
ihr kaum der Bemerkung wert; eher noch erschien ihr die Neuigkeits-
sucht als etwas lächerliches, wenn nicht plebejisches. Dadurch wurde
Prinz Asche aufs äusserste gereizt, sich selber mit staunenerregenden
Verbesserungsplänen zu übertrumpfen, um sie von der Richtigkeit und
Wichtigkeit seiner Ideale zu überzeugen, indessen soviel er sich mit
grossen Reden aufregte, kam es nie zu einer ernstlichen Disputation,
da Reine sich begnügte, gutmüthig zu lächeln, oder etwa einmal ein
scherzendes Gegenwort einzuwerfen. Ein wenig Koketterie mag dabei

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 602, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0602.html)