Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 603
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im Spiele gewesen sein, aber die Bequemlichkeit war doch die Haupt-
sache. Man musste sie nur sehen, wenn sie wie eine Körper gewordene
Wasserwelle in meinem grossen violetten Sammetsessel geschmiegt lag.
Wenn sie sprach, und das liebte ich am meisten an ihr, war es, als
ob einem schwere, goldene Honigtropfen über die Seele glitten. Über-
haupt, welchen Zauber barg sie nicht in ihrem unergründlichen Ge-
müthe? Sie wusste alles und schien nichts zu wissen, und wiederum
schien sie allwissend, wo sie unwissend war.
Erst als er eines Tages durchsetzte, dass sie sich an den modernen
Bewegungsspielen betheiligte, die er im Parke veranstaltete, bemerkte
ich eine plötzliche Veränderung ihrer Stimmung gegen ihn. Es war
aber auch eine Augenweide, Prinz Asche zuzusehen, wenn er lief,
sprang, flog, und seinen tannenschlanken Körper herüber oder hinüber
beugte, um den fliegenden Bällen auszuweichen. Alle anderen erschienen
plump neben ihm oder allzu zierlich. Einer oder der andere hätte einen
vielleicht an Siegfried, das ungeschlachte Germanenkind, erinnern
können, da er mit den Burgunderkönigen wettete und sie alle sammt
Hagen besiegte. Aber keinen ausser Prinz Asche hätte man sich bei
den olympischen Spielen denken mögen. Achilles den hurtigen Renner
oder mehr noch Hermes mit den geflügelten Füssen, den geschmeidigen,
beredten, listvollen, den schien er mir in seiner gebildeten Schönheit
darzustellen.
Die Frauen sahen jetzt nicht mehr bewundernd zu wie damals
Kriemhild aus dem Fenster ihrer Kemmenate, sondern tummelten
sich munter mit den Männern, und es gefiel mir wohl, die feinen
Gestalten in ihren losen Spielgewändern über das kurzgeschnittene
grüne Gras eilen zu sehen. Meine arme Reine war gegen die übrigen
im Nachtheil; denn sie war wohl hoch und schlank gewachsen, aber
ohne grosse Körperkraft und vor allen Dingen ohne Kenntnis der
Spiele und gänzlich ungeübt, so dass sie nicht aus noch ein wusste
unter den andern. Zwar war ihr Prinz Asche ritterlich zur Seite, aber
seine feinen grauen Augen bemerkten gleich was in ihr vorgiemg, und
er war klug genug, das Wachsthum ihrer keimenden Liebe mit einem
Dorn der Eifersucht anzustacheln. Deswegen beschäftigte er sich auch
gelegentlicher, als er sonst zu thun pflegte, mit den anderen Damen,
vorzugsweise mit der kleinen Ulla, die er überhaupt als geschickte
Partnerin bei den Spielen bevorzugte. Sie war nämlich nicht eben
besonders graziös, aber so leicht und beweglich mit ihrem hageren
Figürchen, dass sie wie ein Federbällchen in die Luft stieg und man
meinen musste, die Wolken übten mehr anziehende Kraft auf sie aus
als die Erde. Manchmal, wenn ich sie so sah, dachte ich: die geflügelten
Phantasien, die sie in ihrem Kopfe hat, streben gegen den Himmel
und tragen den gewichtlosen Körper mit. Ihre braunen Augen nämlich
sahen aus als ob sie beständig nach innen auf schöne, fremdartige
Dinge schauten, wovon sie aber nichts äusserte; trat einmal einer mit
Fragen an sie heran, so begegneten ihm ihre schnellen Augen mit
dem Blick eines scheuen Waldthieres und sie fertigte ihn mit einer
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 603, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0603.html)