Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 621
Text
»Es wird ein Augenblick kommen, da ich zurückbleibe. Dann
wirst Du mich verstanden haben. Vorläufig gebe ich Dir Richard
Wagner, weissgrüne Seide zu Deinem wunderbaren braunen Haar
und meine Freundschaft. Kann man aber concurrieren mit den
Träumen?! Auf rascheren Rossen reiten sie — — —.«
»Wie Du Dich in mich hineingräbst — — —! Da brauchen
wir nicht herauszugraben — — —. Wie wenn Du zu dem
Herde von Krankheitskeimen vordrängest, zu Gefahren ausgesetzten
Punkten.«
»Risa, hat die Pastille Tamar Grillon, die ich Dir heute
morgens gab, gewirkt?!«
»Ja — — —. Ich bin wie erlöst.«
»Es ist ein königliches Mittel. Milde wie die Natur selbst
und gleichsam voll innerlicher fürsorglicher Weisheit. Unsere
eigene Kraft, nur quasi in die Frucht des Tamarindenbaums
verzaubert.«
»Ich bin wie erlöst — — —.«
»Nun siehst Du — —!?«
»Du hättest Kindsfrau werden sollen — — —« sagte sie
sanft. Er aber spürte gleichsam ihren Leib und ihre Seele, welche
er in gleichem Masse behütete und frei bewahrte vor jedem Drucke,
auf dass sie seien in Frieden!
»Ganz glücklich bist Du über Tamar — —« sagte sie
lächelnd.
Stille.
Dann sagte sie sanft: »Du — — — schreibe Herrn von
Artin ab für Samstag, Ausstellungs-Avenue, Restaurant Sacher.
Ich hasse ihn.«
»Artin?! Welchen Du auffordertest?!«
»Ja, Artin — — —. Gehen wir. Es ist dreiviertel sieben.«
»Marie, öffnen Sie alle Fenster, während wir weg sind.«
Auf dem Wege zur Oper sagte sie: »Du, wenn Tante Ida wüsste,
dass wir über »Tamar« uns besprachen?! Kannst Du Dir vor-
stellen, dass überhaupt jemand aus unseren Familien über Tamar
sich bespräche?! Ich selbst wüsste es nicht von mir, dass man
es könne.«
»Gute, Süsse — —« sagte er milde.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 621, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0621.html)