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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 630

Text

DICHTER. I.

Mein Weg geht über die Erde zur Winternacht. Die Welt
ist weiss, der Himmel schwarz, ich finde keine Sterne. Aber auf
meinem Wege blitzen Millionen Silberfunken im Schnee und zaubern
mir ein Bild von Schönheit auf, die mein ist. Denn ich schreite
allein zur Winternacht. Der Ostwind frisst in meine Wangen,
meine Hände sind blau und faul. Aber der ungeheure Diamanten-
schatz, der meinem Auge unberührt sich bietet, lockt weiter. Wo
zwei verglimmen, zucken hundert neue auf. Endloser Weg.

II.

Ich möchte der Maler sein. Es soll mein Ruf zu Gottes
Frauen kommen wie Liebessturm, dass sie sich enthüllen heilig
und weinen vor dem Bilde, das sie sind, dass sie es sind. Dann
hinschauen auf mich, den Schöpfer, leise fragend: Wie möglich?
Ich aber will flieh’n. In einen Sommerwald, der meine Thränen
kühlt und meine Röthe fortküsst.

Berlin. 1896. GEORG HIRSCHFELD.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 630, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0630.html)