Text
JUBILÄUMS-AUSSTELLUNG.
Von PAUL RITTER V. RITTINGER (Wien).
Die Engländer und Franzosen, warum denn nicht die Wiener,
oder wenigstens die Münchener, Berliner oder Düsseldorfer? Das ist
sehr einfach, und ich antworte auf die Gefahr hin, für einen schlechten
Localpatrioten gehalten zu werden: »Weil eben in den wenigen englischen
und französischen Sälen mehr zu sehen ist, als in allen übrigen zu-
sammen«. Für den Wiener, der seine künstlerische Bildung lediglich
den Jahresausstellungen im Künstlerhause verdankt, gilt das freilich
nicht. Der findet unter den Österreichern Temple, Hessel, Merode,
Ritzberger, Zetsche, lauter gute, alte Bekannte aus früheren Ausstellungen,
und unter den deutschen Ausländern Delug, Böcklin, Palmié, die er
auch schon alle einmal gesehen hat, und selbst Max Klinger kennt
man wenigstens vom Hörensagen. Aber bei den Franzosen und Eng-
ländern ist das anders, kein einziger bekannter Name, alles neu, funkel-
nagelneu für uns. Der betreffende Wiener geht dann befriedigt und
stolz aus der Ausstellung, denn er hat wenigstens den loyalen Trost
mitgenommen, dass die meisten berühmten Maler doch in der öster-
reichischen Abtheilung hängen. Berühmt? Ja für den, der bis zum
Überdruss mit ihnen gefüttert worden ist, und der um keinen Preis
einen Blick ins sündhafte Ausland thun durfte. Aber wirklich berühmt,
berühmt in der ganzen künstlerischen Welt, wo man kaum einen von
unseren »bekannten« Malern kennt, aber dafür alle die unbekannten
Franzosen und Engländer desto besser, was dieses berühmt bedeutet,
das muss der zufriedene Wiener erst lernen.
Die Secession hat ihm dazu die erste Gelegenheit gegeben. Da
hat schon allein die Anzahl der ausländischen Bilder für die Bedeutung
ihrer Kunst gesprochen, und wenn auch keine berühmtesten da waren,
so gab es doch wenigstens sehr viel berühmte. England speciell war
freilich unverhältnismässig schwach vertreten, aber das mag wohl da-
her kommen, dass ein englischer Künstler seine Bilder nicht erst nach
Wien zu schicken braucht, um sie zu verkaufen, oder gar »berühmt«
zu werden. Dagegen waren viele Franzosen und Belgier zu sehen, vor
allem die Belgier, und über Khnopff konnte man sich aus den ausge-
stellten Bildern sogar schon eine eigene Meinung bilden.
Im Künstlerhause liegen die Dinge freilich nicht so günstig, aber
es ist ja auch eine Jubiläums-Ausstellung, wo die Kunst zum Zwecke
einer allerhöchsten Anerkennung um jeden Preis »Fortschritte« gemacht
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 631, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0631.html)