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haben muss, und da kann man doch selbstverständlich den unange-
nehmen Ausländern und besonders den gefährlichsten unter ihnen nicht
so galant den Vortritt lassen, wie in einer Secession. Indessen einige
Säle haben sie sich doch erobert, diese Ausländer, und wenn ich
bedenke, wie es noch vor etlichen Jahren einem Bilde von Burne-Jones,
einem echten, unverfälschten Burne-Jones und einem der geschätzteren
obendrein, im Künstlerhause ergangen ist, so bin ich schon mit diesen
wenigen Sälen mehr als zufrieden. Wenig ist doch besser, als gar nichts.
Was zunächst die Engländer betrifft, so haben sie freilich nur
einen Saal, und dass sie den so halbwegs ausfüllen, haben sie auch
nur dem Umstände zu verdanken, dass man aus purem Wohlwollen
die zwei bis drei ausstellenden Amerikaner zu ihnen gehängt hat.
Aber sie wirken doch ganz gut, und selbst der, dem die englische
Kunst ganz gleichgiltig ist, geht unwillkürlich auf den grellen, farbigen
Fleck an der Rückwand zu, und blättert neugierig im Katalog, was
dieses überverrückte Bild wohl bedeuten wird. Wenn er dann einfach
»Hamlet« liest, ist er natürlich sehr enttäuscht, denn er hat sich doch
so sicher einen recht »verrückten« Titel erwartet, und mit einem ge-
wissen Grade von innerem Schmerz über das entgangene Gaudium
verlässt er dann auch gleich den ganzen Saal. Und das ist doch schade.
Nicht speciell wegen des einen Bildes, aus dem er wenig über englische
Kunst lernen wird, da es überhaupt von keinem Engländer gemalt, und
auch nicht englisch empfunden ist, aber da nebenan hängen ja noch
etliche andere Bilder, die sind alle echt englisch, und noch dazu einige
recht »zahme« darunter. Zum Beispiel gleich das von Davis »Ein
Obstgarten in Wales«. Wenn man es nur so flüchtig ansieht, berührt
es einen ganz gleichgiltig. Aber gehen Sie einmal näher hin, englische
Bilder muss man immer von ganz weit ansehen, oder man muss mit
der Nase hineinrennen, um sie zu goutieren, und das hier ist eins
für die Nähe. Das Bild stellt einige weidende Lämmer vor, die von
der Entfernung eben nichts weiter sind als Lämmer, ganz gleich-
giltige, gemalte Lämmer, wie man sie so oft in unseren Ausstellungen
sehen kann. Aber in der Nähe werden diese Lämmer auf einmal
ganz anders. Sie bekommen Leben, jenes frische, natürliche Leben,
das einen in einer Wiener Kunstausstellung immer so angenehm
berührt, weil es eben so selten ist. Da ist ganz besonders eines von
den Lämmern, auf das die Sonne so schön und warm scheint,
und das sich so unbändig wohl fühlen muss in dieser ausnahmsweise
echten Sonne. Und hinter dem Lamm kommt ein Stück sonnige
Wiese, dann ein Stück Schatten, und dann wieder Sonne. Das ist
ja gewiss etwas ganz gewöhnliches auf Bildern, aber es kommt
eben nur darauf an, wie es gemacht ist. Hier spürt man die tausend-
fache Frische der freien Natur aus diesem Schatten, ihre geheimsten,
intimsten Töne sind ihr abgelauscht, von den bei Davis so häufigen
Apfelblüten bis herunter zu ganz prosaischen Details, alles Leben,
liebevoll beachtetes Leben. Davis hat in solchen Dingen eine grosse
Virtuosität und kann seine Lämmer auch oft für grossartige schottische
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 632, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0632.html)