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»The fairy queen« in der Secession befindet. Und da kennt Crane
aber auch alle die geheimsten Zauber dieses Wunderlandes, und es
ist das alte deutsche Märchen selbst, wie es leibt und lebt, das da
an uns vorüberzieht. Wunderschöne Königinnen in lichtdurchfluteten
Rittersälen wechseln mit den im Märchen so heimischen Gänsemädchen
im weissen Hemdchen mit flatternden Haaren, stolze Ritter, vom Kopf
bis zum Fuss in Harnisch, besiegen grauenhaft phantastische Unge-
heuer, Feen schweben durch den Wald, deren leichte, rauschende
Schleier aus den wirren Ästen der Bäume zu wachsen scheinen, und
drollige Figuren, sehr dick und sehr klein, stolpern mit teutonischem
Gelächter durchs Märchen. Und das alles ist in echtem alten Holz-
schnittstil gehalten, in jenem eigenen Stil, den das Märchen unbedingt
braucht, wenn es sich vollkommen zuhause fühlen soll. Es ist etwas
vom phantastischen Linienzug Dürers darin und noch mehr von der
höfischen Romantik der ältesten französischen Holzschnitte. Wenn
man genauer zusieht, wird man vielleicht noch anderes entdecken,
und die Anzahl der Vorbilder wird sich in die ganze Kunstgeschichte
verzweigen. Ich aber frage nicht danach, was alles schon dagewesen
ist von dieser magischen Kunst, mir genügt es, dass sie nie zuvor
voller und unbändiger geherrscht hat, alle Schranken der Vernunft und
Einheit zertrümmernd, als hier bei Walter Crane, dem grossen Phan-
tasten, dem bezaubernden Erzähler.
Diese drei Kunstwerke — die »Venus« von Solomon, das »Echo«
von Onslow Ford und endlich »The shepherd’s calender« von Walter
Crane — gewähren schon einen Einblick in die höheren Sphären der
englischen Kunst. Ihr wundersames Wesen grüsst einen in diesen
Sendungen und lässt einen ahnen, wie gross erst ihre allergrössten
sein müssen. Aber diese drei Sendlinge sind auch die einzigen in der
ganzen Ausstellung. Ausser den früher erwähnten Stücken von Davis
und Reid, die uns mehr in die breiteren Schichten der englischen
Kunst einführen, ist eigentlich so gut als nichts da. Was für einen
Begriff kann man sich von Stott of Oldham’s farbenprächtiger Decorativ-
kunst aus dem Gemälde bilden, das er ausgestellt hat? Arthur Hacker
ist von einer seiner ungünstigsten Seiten vertreten, dort nämlich, wo
er am stärksten französelt und das unreinste Englisch spricht. Diese
eigene harte Kälte und finstere Pose in seinem Symbolismus ist nichts
weniger als national, während er doch im Porträt, sowie in seinen
reizenden halbrealistischen Bildern, z. B. »The sea-maiden«, echt
englische Töne anzuschlagen versteht. Nur Albert Stott ist durch
sein »Altes Thor« noch günstig repräsentiert und der eigenartige Stil
dieses Meisters, der mehr als irgend ein anderer alle deutlichen
Linien der Körper vermeidet, und seine Figuren in ein magisches Meer
von Dämmerung zu tauchen liebt, hat hier eine treffliche Ver-
bindung mit Farbeneffecten eingegangen, deren bunte Leuchtkraft
bisher ganz ausserhalb seines Könnens zu liegen schien.
(Ein zweiter Artikel folgt.)
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 16, S. 636, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-16_n0636.html)