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Wiener Rundschau.
1. AUGUST 1898.
MAX STIRNERS LEBEN UND WERK.
Von MAX MESSER (Wien.)
Unter grossen Mühseligkeiten ist es John Henry Mackay gelungen,
die Biographie Stirners fertig zu stellen.*) Vor zehn Jahren hatte er
begonnen, nach den Lebensumständen des verschollenen Denkers zu
forschen, in der Überzeugung, dass irgend etwas Ausserordentliches in
ihnen zu finden sein werde. Aber was sich aus den spärlichen Über-
resten sammeln liess, bewies nur, dass das Leben Max Stirners
ereignislos, einfach, leer von äusseren Erlebnissen gewesen war.
Schliesslich erkannte er, dass es eine Thorheit war, sich Stirners
Leben gleichsam in rauschender, heftiger Bewegung vorzustellen und
dass dieses, weit entfernt im Gegensatz zu seiner grossen That zu
stehen, vielmehr der klare und schlichte Ausdruck ihrer letzten Lehre
war: das Leben eines Egoisten, der wusste, dass er es war!
In Bayreuth, am 25. October 1806, wurde Johann Caspar Schmidt
als Sohn eines »blasenden Instrumentenmachers« geboren und genoss
hier als ein »guter und fleissiger« Schüler die Erziehung des städtischen
Gymnasiums. Von dem inneren Leben, das der Knabe und Jüngling
bis zu seiner Reise an die Berliner Universität führte, ist keinerlei Kunde
erhalten. An der Hochschule immatriculierte er sich als Hörer der philo-
sophischen Facultät, die damals eine Reihe glänzender Namen aufwies.
Nach zwei Jahren verlässt er Berlin und studiert bis zum Jahre 1832 in
Erlangen und Königsberg, um dann, wieder in Berlin angelangt, sich dem
Lehrerexamen zu unterziehen. 1½ Jahre verbrachte er als Schulamts-
candidat an der königlichen Realschule. Am 12. Dezember 1837
heirathete er die Tochter seiner Wohnungsgeberin, Agnes Burtz. Die,
wie es scheint, stille, friedvolle, leidenschaftslose Ehe wird durch den
Tod der Frau schon im nächsten Jahre gelöst. Nun nahm Stirner eine
*) Berlin 1898. Verlag von Schuster & Loeffler.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 677, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0677.html)