Text
nur Gegensätze. Seid Ihr verzauberte Menschenseele?! Sind wir
entzauberte Natur?!«
Da lag die Prinzessin nachmittags ohne Mieder, schwer-
fällig von Suppe, Fleisch und Mehlspeise in Sommers Hitze, auf
dem kühlen angenehmen Bette, klappte die Flügel hie und da
auf und zu, träumte, träumte, träumte ohne zu träumen.
»Mildred, es ist fünf Uhr. Was glaubst Du eigentlich?!«
Sie erhob sich, trat ans Fenster, sah die abgekühlte Natur,
die Reihe von Hundsrosenbüschen und den Himmel, welcher
nichtssagend sich ausbreitete nach allen Richtungen.
»Mildred — — —. Glaubst Du, man werde diesen wunder-
baren Sommer-Nachmittag vertändeln, vertrödeln?! Eine schöne
Naturfreundin bist Du! Wir fahren an einen Jausenplatz. Ziehe
das Mousseline-Kleid an mit den durchsichtigen Ärmeln.
Hörst Du?!«
»Ich gehe schon,« sagte sie und blickte auf ihr Kohlfeld
hinaus und die Reihe von Dornenbüschen, welche sanft und
ergeben den Abend erwarteten und den Nachtthau und den Wind
von den Bergen, welcher sich um acht einzustellen pflegte.
»Mildred, hörst Du nicht, was ich sage?!«
»Ich gehe ja schon.«
Sie zog das Kleid an mit den durchsichtigen Ärmeln und
fuhr zu dem Jausenplatze mit Mama.
Dort sagte niemand zu ihr: »Wunderbare Arme haben Sie,
Fräulein.«
Da sass sie, sass, sass und dachte an ihre kleine Landschaft
vor ihrem Fenster, welche ganz gelassen den Abend erwartete
und den Bergeswind — — —.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 684, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0684.html)