Text
dem zwitschernden Dialect der Creolen, welches manchmal anzuwenden
wir um Erlaubnis bitten. Wozu sollen die Zombi gewonnen werden?
Auf dass sie den Nebenbuhlern und Neidern schaden, die Feinde
würgen oder ihnen doch wenigstens übel mitspielen. Also nicht um
ihr Heil zu finden besuchten sie die Kirche, sondern um ihren
Nächsten Schaden zuzufügen Ein sonderbares Beispiel, wie die
Barbaren die Religion auffassen! Wie viel Licht wirft diese Beobachtung
auf die ursprünglichen Culte! Deshalb wurden die Dienste der
Zauberer, Geisterbeschwörer, Kartenaufschlägerinnen und Bärentreiber,
wie sie unsere Bauern noch heute nennen, begehrt. Der erste scharf
gekennzeichnete und deutlich empfundene Gegensatz war der von
Freude und Leid und nicht jener von gut und böse, mit dem man
ihn allzu leicht verwechselt. Lange Zeit trachtete man nur darnach,
angenehme Sensationen aufzufinden und unangenehme Sensationen
zu vermeiden. Es bedurfte einer gewissen Entwicklung, um zur
Erkenntnis intellectueller Perception und noch später zu moralischen
Gefühlen zu gelangen.
Ohne uns jetzt mit den zahllosen Freveln zu befassen, deren
sich der Magier, seine Macht so viel er konnte missbrauchend,
schuldig machte, wollen wir die unvergesslichen Dienste anerkennen,
welche jene Leute unserer Gattung erwiesen haben, die man bei
manchen Stämmen immer noch Dickschädel, Querköpfe, Gewitzte,
Schlaumeier, Kreuzköpfeln, »Leute, die noch was anderes können als
Eicheln fressen«, nennt. Der Magier war es, der mit seinen verworrenen
Hirngespinsten und langwierigen Proceduren unseren Vorfahren aus
brutaler Wildheit zu einer bereits intelligenten Barbarei herüberhalf.
Leidenschaft war die erste Veranlassung zu magischen Werken.
Aber ausser Liebe oder Hass bedurfte es hiebei auch einer gewissen
Einsicht, jener ersten Wahrnehmungen, die sich später in Wissenschaft
umwandelten; die blinden Kräfte der Anziehung und Abstossung
mussten in dem Masse bewusst werden, als sie sich bethätigten.
Sympathie und Antipathie setzt eine intime Kenntnis der Persönlichkeit
voraus, welche sie hervorgerufen hat. Das kommt in einer seltsamen
Redensart zum Ausdruck, nach welcher die Pläne des Zauberers
misslingen müssen, wenn er nicht weiss, wie der Vater des Mannes
hiess, dessen Untergang er beschlossen.
Sich eines Menschen erinnern, heisst ihn beschwören und erscheinen
lassen; seine Gestalt projiciert sich auf das Gehirn wie auf eine Wand,
verkleinert und winzig, wie jemand, der durch ein verkehrtes Opern-
glas betrachtet wird. Bis in die Neuzeit zweifelte man nicht daran,
dass diese Erscheinungen, Erscheinungen der Seelen oder zum mindesten
ihrer Ausstrahlungen seien. Man stellt sich den Schatten als Gestalt
vor, welche die Griechen Eidolon nannten, das Idol oder Ideechen.
Ideen sind und bedeuten Visionen. Es tauchen zuerst concrete Ideen
scharf umrissen auf. Um sie in abstracte Ideen hinüberzuleiten bedarf
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 18, S. 708, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-18_n0708.html)