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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 725

Text

EINIGE ERINNERUNGEN AN KARL A. TAVASTSTJERNA. 725

Reiterei« — jenem ausgelassenen Tanz voller Wehmuth und Übermuth
aus dem dreissigjährigen Krieg — den stolzen Refrain:

»Wir tränken uns’re Rosse im kaiserlichen Fluss «

Nun, in jenem erwähnten Björneborg, als Redacteur eines zweimal
wöchentlich erscheinenden Provinzblättchens, starb also der Erbe von
Topelius’ Dichterlorbeer, erst 38 Jahre alt. Eigentlich war das keine
imposante Lebensstellung für die grösste dichterische Begabung eines
auf seine geistigen Ressourcen so stark angewiesenen Landes gewesen
— insbesondere, wenn man dazu erwägt, dass besagter Tavaststjerna
als Sohn eines Generals und grossen Gutsbesitzers geboren worden.

Und in seiner Jugend schien es ihm auch gehen zu sollen, wie
es dem Sohn eines Generals und grossen Gutsbesitzers in einem
patriotischgesinnten Lande zukommt. Ursprünglich Architekt, wurde er
so früh berühmt, so stark gefeiert, so gut honoriert und mit Geld
versehen, dass er seinen Beruf aufgab und sich ganz als schwedisch-
finnländischer Dichter etablierte. Ich meine damit eigentlich nicht, dass
er »patriotisch« dichtete. Er dichtete wie der Vogel singt, der auch
nicht weiss, was und warum er singt: Lyrik voll jener Schwermuth,
Wärme und Innigkeit, wie die finnische Landschaft mehr als jede
andere — ausser den unendlichen russischen Ebenen — sie eingibt,
Theaterstücke mit modernen Geldconflicten, Novellen und Erzählungen
mit mondainen und emancipierten finnländischen Damen, darunter
jene melancholische Geschichte »Kindheitsgespielen«, wo der Mann
so wild und weich, das Weib so streng und bewusst ist.

Da er es haben konnte, so reiste er viel, wurde heimisch in
reicheren und südlicheren Ländern, sein Blick wurde weiter, seine
Begabung tiefer und vielseitiger und sein Gefühl schwoll, je mehr die
Jahre giengen, in immer volleren, beseelteren Rhythmen Aber je
tiefer sein Blick schaute und je wärmer sein Herz schlug, desto kühler
wurde es um ihn in seiner Heimat, desto strenger wurde das
schwedisch-finnländische Kunsturtheil, und der »Vor der Morgen-
brise
« hinausgesegelt war auf leichtem Vergnügungskutter, um unter
dem Beifalle seiner Landsleute in den stillen Buchten ungefährliche,
applaudierte Seglerstückchen auszuführen, er kreuzte im Mannesalter
allein in schlechtem Boot bei Sturm und Wetter zwischen gefährlichen
Scheeren, wo kein gutgekleideter Mensch vor einem anderen gut-
gekleideten Menschen sich sehen lässt; und eins der Resultate dieses
Kreuzens zwischen Blindscheeren war sein Buch: »Das Geheimnis
der finnischen Bucht
«.

Aber er reiste auch herum auf dem weiten armen finnischen
Bauernland
, wo unter strengen Wintern, nach verregneten Sommern,
Hungersnöthe wüthen, wo verlassene Bauernweiber, deren Männer
weit weg auf Arbeit ausgezogen, nicht einmal mehr das Rindenbrot
und den Tropfen Milch für ihre verhungernden Kinder hatten und
bettelnd um die Gutshöfe strichen, in denen die schwedischen Herr-
schaften ihre eigenen Sorgen und Kümmernisse in den »Harten

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 725, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0725.html)