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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 726

Text

726 MARHOLM.

Zeiten« erörterten. Und er schilderte im »Weiberregiment« dies alte
finnische Bauernvolk, wie es in den letzten Jahren reich und selbst-
bewusst geworden, die schwedischen Herrschaften und an der
Universität creierten »geistigen Leuchten«, die sich nun finnoman
machten, belachte und bei der Nase zog.

Melancholisch und ernst fieng er an, aber ein immer grösserer
und echterer Humorist wurde er mit den Jahren, und das stille Lächeln
wurde in seinem Gesicht in dem Masse constanter, wie die Gesichter
seiner schwedisch-finnländischen Landsleute immer länger wurden.

Und er that’s keinem zu lieb, wie andere schwedisch geborene
Dichter und Volkserzieher, die ihre schwedischen Namen abzulegen und
mit finnischen zu vertauschen pflegen, um beim Volk ein grösseres
Vertrauen und auf die Leitung seiner »Entwicklung« — oder seiner
Geschicke — einen grösseren Einfluss zu gewinnen. Er glaubte nicht,
dass es dazu noch Zeit war; und wäre es auch Zeit gewesen, er hätte
es doch nicht gethan.

Dazu kannte er dies eingeborene finnische Volk, das die Kraft
des Landes war und dem die Zukunft gehörte, zu gut. Ihm war es
leicht einzusehen, welchen Gang die »Entwicklung« nehmen musste,
und dass alle Anstrengungen eines Standes- und Oberclassenpatriotismus,
mit denen eine eingewanderte Colonistenschicht sich am Steuer zu
erhalten strebte, vergebens waren.

Und damit setzte er sich bewusst und guten Muthes zwischen
zwei Stühle.

Aha! sagt der denkende Leser, es dämmert mir, weswegen mir
sein Name gar nicht zu Ohren gekommen zu sein scheint.

Verehrter Leser, ich glaube mich zu Deiner Meinung bekennen
zu müssen. Unter den vielen alten Erfahrungssätzen, die sich zu Sprich-
wörtern verdichteten, bedürfen die meisten einer gründlichen Moderni-
sierung, darunter auch das veraltete Wort: »Kein Prophet ist angesehen
in seinem Vaterlande«, das dahin zu verändern wäre: »Wer es
nicht dahin gebracht, in seinem Vaterlande ein angesehener Prophet
zu werden, für den gibt es gar keine Aussichten in andern Ländern«.

Man denke nur, um der Kürze wegen bei dem vorliegenden
Beispiele zu bleiben, was für skandinavische Namen es einfach in
Deutschland allein zu begeisterten Besprechungen und in allen Buch-
handlungen sichtbaren Ausgaben gebracht haben: da ist Adolf Paul
und Juhani Aho, Heidenstam und Hedenstjerna, Geijerstam und Birger
Mörner, Peter Nansen, nicht zu verwechseln mit Frithiof Nansen, Sven
Lange und Ellen Key und viele andere, die alle in ihrer Heimat wohl-
bestallte Propheten sind, von den älteren Jahrgängen ganz zu schweigen,
da wir damit nicht an die harten Worte von David Friedrich Strauss
erinnern möchten, der in einer schwarzen Stunde behauptete:

Nicht jeder Wein wird mit den Jahren
Gedieg’ner als er anfangs war,
Nicht viele sind in grauen Haaren
Mehr wert als einst im braunen Haar.

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 726, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0726.html)