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Nun, der und jener von den oben genannten grossen Dichtern
und Landsleuten nahm sich ja auch Tavaststjernas an. So erschien z. B.
erst im vorigen Jahre seine kleine Kindergeschichte: »Der kleine Karl«
in der Collection Geijerstam — die sich vielleicht noch einmal zu einer
Collection Tauchnitz auswachsen dürfte — in deutscher Sprache. Und
hier und dort, in Zeitschriften u. dergl. wurden ja auch sonst Sachen
von ihm sichtbar. Merkwürdigerweise schrieb er mir, als er zur Collec-
tion Geijerstam avanciert war, die trüben Worte:
»Ich bin müde, geh’ zur Ruh’
Schliesse meine Äuglein zu.«
Was er denn auch wirklich einige Monate später ganz geräuschlos
und nach menschlich-kurzsichtigem Ermessen für immer that.
Tavaststjerna war überhaupt — ganz im Gegensatz zu den
führenden Geistern unserer Zeit — ein Mann, der sich viel mit dem
Gedanken beschäftigte, wann er einmal nicht mehr sichtbar unter den
Sichtbaren wandeln würde. Seine besten, tiefsten und wärmsten Dich-
tungen: »Im Bund mit dem Tode«, »Ein Patriot ohne Vater-
land« (mit dem seltsamen Soustitel: »Aus dem Finnland, das
gewesen«), »Laureatus« u. a., hatten alle sein baldiges Abscheiden
und Nichtmehrsein zum leitenden Faden. War es, weil er in sich
Finnland abscheiden fühlte, das Finnland, das auf einer culturellen
Überlegenheit der herrschenden Classen und auf deren Ehrfurcht
vor ihren besten Geistern beruhte? Jeder Mensch, dem die Götter
nicht den Verstand geraubt, kennt innerst inne in seinem Herzen
seinen eigensten Wert oder Unwert, und seine ganze Lebensführung
formt sich im letzten Grunde aus dieser Erkenntnis. Tavaststjerna
wusste so gut wie einer, welches Pfund ihm verliehen war, um damit
zu wuchern zu Nutz und Frommen seiner Heimat — der schwedischen
Oberclassen-, der finnischen Bauern- und der russischen Reichsheimat.
Er wusste, dass er Rechenschaft abgeben müsse — und wäre es vor
keinem anderen Richter als vor sich selbst — wie er mit diesem
schönen, reichen und edlen Pfund, das nach dem alten Topelius ihm
allein in seiner Heimat in solcher Fülle verliehen war, gewuchert
hatte und er wusste, dass es ihm verwehrt war, damit zu
wuchern im Sinne des Gebers. Aus diesem Conflict, den er erst nicht
ahnte, später nicht begriff, endlich verstand, formte sich der Mann
Karl Tavaststjerna, wie ich ihm einigemale begegnete und wie er in
seinen Büchern unter uns wandelt — in diesen Büchern, wo so vieles
dunkel und hineingeheimnist scheint, was im raschen Laufe der Jahre
immer klarer und offenbarer und auch der ärmsten Einsicht verständ-
lich werden wird.
Tavaststjerna war ein Dichtertypus, wie man ihn in unserem
grossen Jahrhundert kaum für möglich halten sollte. Er hatte keinen
Erwerbsinn und keine Eitelkeit. Oder er hatte beide unter den Er-
fahrungen des Lebens verloren — während doch eine geniale Begabung
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 727, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0727.html)