Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 20, S. 749
Text
Wiener Rundschau.
1. SEPTEMBER. 1898.
BISMARCK-SOCIALDEMOKRATEN.
Von F. SCHIK (Wien).
Schwere Gährungsstoffe sind unserer Zeit beigemengt
worden. Eine Ordnung, welche es zuliess, einen Bismarck zu
entlassen und offen zu misshandeln, ist des Unterganges wert und
sicher. Da man das feststehendste, wurzeltiefste Individuum
schwanken sah, hat auch das Vertrauen auf die Stabilität jed-
weder bürgerlichen Existenz einen heftigen Stoss erhalten. Es
wird nun darauf ankommen, die Meinung aus der Welt zu
schaffen, dass ein solcher Rechtsbruch ungerächt verübt werden
dürfe. Der Glaube an die historische Gerechtigkeit ist ein uner-
lässlicher Fortschrittsfactor.
Die ins Princip unserer Gesellschaftsordnung eingebornen
Fehler haben die socialdemokratische Idee erzeugt, und parallel
mit der Entwicklung der Schäden jener, vollzieht sich der
Läuterungsprocess der neuen Weltanschauung. Die grundsätz-
lichen Irrthümer der Gegenwartsmenschheit haben sich in Einer
Person verkörpert und diese hat willkürlich denjenigen realen
Machtfactor ausgeschaltet, der die grossen Eigenschaften seiner
Zeit in monumentalen Formen vereinigte. Eine antisociale Ver-
messenheit hat den Repräsentanten des Gegenwartsstaates zu
Falle gebracht. Bismarck fiel durch einen Brutalitätsact der Auto-
kratie, gegen die als solche sich die socialdemokratische Idee
aufbäumt, und selbst gegen den Willen ihrer Vertreter — unter
einem historischen Zwange — werden diese Bismarcks Rächer
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 20, S. 749, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-20_n0749.html)