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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 729

Text

EINIGE ERINNERUNGEN AN KARL A. TAVASTSTJERNA 729

Buche: »Im Bund mit dem Tode«. Tavaststjerna ist immer Er-
zähler und alles formt sich ihm concret. Ein kranker Mann — krank
an Seele, krank an Körper, reist von Frau und Kindern nach Italien,
um im Süden die Wiederherstellung seiner Gesundheit zu suchen, der
er weniger für sich bedarf, als zur standesgemässen Ernährung von
Frau und Kindern. Ruhelos reist er hin und her unter dem mildesten
Himmel, aber der Tod reist mit. Überall ist er, wo er ist, er ist
besessen von ihm und kann nicht gesunden. Da wächst ihm aus der
schlummerlosen Angst ein unsäglicher, lachender Muth und er fasst
den Tod mit beiden Händen und sieht ihm mit beiden Augen in die
Augenhöhlen und lehnt sich an seine dürren Knochenglieder wie das
Kind in die Arme der Mutter. Und da ist der Spuk verschwunden
und das Grauen — von Leben überkleidet, herrlich und blühend ist
der Tod und kahl und dürr steht vor ihm die Blüte seines verflossenen
Lebens. Und er geht einen Bund ein mit dem guten Freund, seiner
gewärtig zu sein zu jeder Stunde.

Da kehrt der Tod sein Stundenglas um.

»Jedes Sandkorn aus Deinem vergangenen Leben soll wieder
rinnen zu läuterndem Gedächtnis und mit sich führen alte Gedanken
in neuer Richtung.«

Froh und jung geworden saugt er alles ein, was er bisher nicht
sehen konnte: die Herrlichkeit des Südens, für die der Nordländer
blind war. Und die Religion und Mystik des Südens nimmt für ihn
Gestalt in einem Weibe und er weiss, aus ihr strömt ihm hinfort
das Leben. Es ist keine Vereinigung im Fleisch und kein Bund der
Geister. Er kehrte heim und geht treu seinen Pflichten nach, aber
die mürrische sittliche Gattin entdeckt den Verkehr mit der Geheimnis-
vollen, fängt die Briefe auf und verwehrt ihm, unterstützt von Familie
und Vorgesetzten, die weitere Correspondenz mit der Fremden. Da
weiss er, dass er sterben muss. Zurückgestossen in die Kälte und
Herzenshärtigkeit, aus der der Süden und dessen Leben gewordene, blut-
warme Mystik ihn gerissen, der Nahrung der Seele beraubt, die nicht
bei Weib und Kind, Freunden und Vorgesetzten zu finden ist, ergibt
er sich in das, was sein Vaterland von seinem Patriotismus fordert,
und verschmachtet.

Und dann ist da jenes andere Buch, das letzte fast, womit er
Abschied nahm: »Ein Patriot ohne Vaterland«. Schönere Seiten
über einen Spaziergang von Porta del Carmine nach Castellamare sind
vielleicht nicht geschrieben worden. Denn es ist einer Seele Seligkeit
und zugleich eine so unendlich genussvolle körperliche Befreiung darin.
Auch hier handelt es sich darum, ob einer im geliebten Finnland zu-
grunde gehen, oder im glücklichen Süden leben und altern soll. Ihm
wird das letztere zutheil; aber es ist ein nutzloses Privatalter, wenn
ich so sagen darf. Und dies benutzt er nun dazu, sich über sich selbst,
seinen Lebensgang, sein Verhältnis zu seiner Heimat und dem Ver-
hältnis seiner Heimat zu sich klar zu werden. Sohn eines russischen
Beamten, aus guter Familie, ist ihm die meiste Förderung, das grösste

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 729, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0729.html)