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ungebeten hineingefallen und die Temperatur zeigte sich alsbald recht
geladen. In dem einen Zimmer sassen die Damen, nach Rang und
Alter und dem Ansehen ihrer Männer, sowie nach der eigenen Abkunft
kunstvoll aufgereiht; und da sich doch nur gleich und gleich miteinander
unterhalten konnte und das nicht so leicht festzustellen war, so herrschte
ein meist nur von Lauten gemildertes schwüles Schweigen. Nebenan,
wo die Honoratioren selbst sich um den Punsch versammelt hatten,
gieng es lauter, aber auch nicht ganz in unschuldiger Fröhlichkeit zu.
Tavaststjerna sass neben einem der strebsamsten jüngeren Herren
auf dem Canapé und legte eine auffallende Ähnlichkeit mit ihm in
Mienen, Haltung, Gesten und Wesen an den Tag. Dann erbarmte er
sich der Damen und erschien unter ihnen. In so ehrfurchtsvoll leisen
Worten, dass man nur den Sinn, aber nicht das Detail der höflichen
Wendungen fassen konnte, erkundigte er sich, ob etwas Musik gefällig
sei. Eine Guitarre kam zum Vorschein und Tavaststjerna vertiefte sich
darin, sie zu stimmen, wobei sie die seltsamsten Misslaute von sich
gab. Nachdem er vergebens versucht hatte, zu diesen Lauten in
deutscher, schwedischer und finnischer Sprache zu singen, wobei die
Damen immer abwechselnd erwartungsvoll lächelten und enttäuscht
aussahen, legte er die Guitarre bei Seite und setzte sich ans Clavier.
Einige nette kleine französische Chansönchen, von tiefen Meditations-
pausen unterbrochen, kamen zum Vorschein — aber mein Mann theilte
mir später mit, sie seien zwar weder unbekannt, noch unbeliebt, doch
von der Beschaffenheit gewesen, wie sie in streng-sittlichen Damen-
kreisen nicht laut werden dürfen. Die Herren, die bei Tavaststjernas
Verschwinden sich erleichtert in eifrig und leise discutierende Gruppen
gesondert hatten, erschienen bei dem Klange dieser Lieder nach und
nach mit mehr oder weniger bedenklichen Mienen in der Salonthür.
Da wachte Tavaststjerna aus einem neuerlichen Nachdenken auf, griff
hier und da einige Accorde und intonierte einen feierlichen russischen
Kirchengesang. Dazu erzählte er, soviel unter den starken Klängen
zu verstehen war, dass irgendwo und irgendwann und von irgend einer
Gesanggruppe bei dem Begräbnis irgend eines grossen russischen
Würdenträgers folgende schwedische und russische Strophen durch-
einander gesungen worden seien:
Fahr’ zur Hölle, du Russ’,
Fahr’ zur Hölle du Russ’,
Gospody, Gospody pomilui.
(Herr, Herr, erbarme Dich unser.)
Dieser Vortrag schien zu interessieren; aber die höhere, dadurch
erzeugte Stimmung schien nach und nach in Händelsucht ausarten zu
wollen. Als dann die Gesellschaft gegen Mitternacht sich auflöste,
schritt Tavaststjerna auf die einzige im Kreise anwesende Bauersfrau,
die Mutter eines Collegen von ihm zu, und küsste ihr allein im Kreise
der versammelten Honoratiorinnen die Hand. Der weitere Abschied
wurde fast tumultuarisch.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 19, S. 731, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-19_n0731.html)