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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 20, S. 777

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MASKEN UND GÖTZENBILDER. 777

sogar ähnlich war. Als authentisches Zeugnis klebte man die Haut
des Originales über das Holz oder den Thon des Standbildes und die
Asche bewahrte man in der Schädelhöhle auf. Personen von Rang
und Ansehen erhielten ihre aus Thon gebrannten Statuen unter einem
Dache aufgestellt. Für gewöhnlich verblieben diese Götzenbilder aber
in der Familie.

Ohne Zweifel sind die ersten Nachbildungen menschlicher Formen
von Leichnamen abgenommen worden. Keine Chronik erzählt uns die
vielen Versuche, die an verschiedenen Orten angestellt worden sind.
Durch Zufall oder anderswie verfiel man auf die Gefügigkeit des
warmen oder geschmolzenen Wachses, dauernde Eindrücke festzuhalten.
Man beobachtete das Anhaften von mit Öl oder Theer getränktem
Sande. Endlich verfiel man auf das vorzüglichste Mittel, das Modellieren
in Gips. Man brauchte in die schlecht und recht gewonnene Form
nur fein verdünnten Thon zu giessen und ihn während des Trocknens
fest werden zu lassen. Als man darauf kam, diese Nachbildungen in
einem Ofen zu brennen, gewannen sie eine ausserordentliche Dauer-
haftigkeit. Aber die solchermassen erzeugten Porträts hatten die Starre
des Leichnams; man verdankte sie einem geschäftsmässigen Verfahren,
welches der Kunst fremd war und blieb.

Bei lateinischen und römischen Bestattungen wurden die wächsernen
Bilder des Verstorbenen und seiner Vorfahren unter feierlichen Ver-
anstaltungen umhergetragen. Man entnahm sie dem Heiligthum der
Laren. Zuweilen ersetzte man sie durch Mimen, die damit betraut
waren, die Personen natürlich darzustellen, ihr Angesicht, ihre Geberden,
ihre Haltung und Sprechweise.

Manchmal artete die tragische Feier in Possenreisserei aus. Die
Masken und Bildnisse der Vorfahren, welche durch die Verbrennung
unter die Götter versetzt worden waren, trugen die Benennung »Büsten«
oder »Verbrannte«, ein Wort, dessen Ursprung betont zu werden verdient.

VI.

Von den grossen Todten wurden die einen Schutzgeister der
Horden, Stämme, Sippen und Familien, der Völker, Nationen und
Reiche. Die anderen, mit besonderen Verrichtungen betraut, wurden
die Götter der Jagd, der Fischerei, der Viehzucht und des Ackerbaues.

Mit der Zeit veränderte sich diese Maske und brachte die con-
ventionelle Grimasse besonders zum Ausdruck, nahm an Genauigkeit
sowie an Phantasie zu und wurde charakteristisch.

Man wagte lange nicht diesen Masken die Augen zu öffnen.
Den alten Überlieferungen treu, führten die Alëuten bei ihren heiligen
Tänzen verwickelte Geberdenspiele aus. Das am Gesichte anhaftende
Brettchen schien sie zu völliger Blindheit zu verdammen und hinderte
die Athmung, obgleich es zu springen, zu laufen und ungestüme, heftige
Bewegungen zu machen galt — was lag daran!

Aber anderwärts gieng man weiter. Man sann besondere Be-
schwörungen aus, um die Augen sowie den Mund zu öffnen und bohrte

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 20, S. 777, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-20_n0777.html)