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Von VITTORIO PICA (Neapel).
In einem eleganten kleinen Salon der Rue de Rome in Paris,
dessen Wände zwei Bilder von Edouard Manet und Claude Monet, eine
Radierung von Whistler, verschiedene Blätter des Amerikaners Caldecott,
eine kleine, aber erlesene Bibliothek und ein paar bizarre japanische
Nippes zieren, versammelt sich von Zeit zu Zeit eine Reihe französischer
Literaten, und vor allem eine Anzahl jener jungen Dichter und Schrift-
steller, die man gemeinhin mit dem vagen Namen »Symbolisten« be-
zeichnet.
Jenen vertraulichen Versammlungen, aus denen alle politischen
Fragen streng verbannt sind, und in denen nur von der Kunst die
Rede ist, steht der Herr des Hauses vor, ein Mann von mittelgrosser
Gestalt, mit röthlichem, spitz zugestutztem Bart und einer mächtigen
Stirn, unter der ein Paar prächtige, schwermüthige Augen flammen.
Spricht er, so schweigen alle ringsum und lauschen andächtig, denn
er ist ein seltener, gewandter, origineller und fascinierender Redner.
Auf diesen Dichter — Stéphane Mallarmé — den viele verkannten,
weil sie seine Werke zu oberflächlich lasen oder die Mühe scheuten, in
seine ganz eigenartige Ästhetik einzudringen, lässt sich sehr wohl das
Wort des Péladan über den Belgier Félicien Rops anwenden: »II est
inconnu au public, mais s’il n’a pas de réputation, il a la gloire.«
Hundert subtile Geister bewundern und lieben ihn und nur um den
Beifall jener Kenner ist es diesem Meister zu thun. Sollte es geschehen,
dass eins seiner Werke einem mittleren Menschen, einem aus jener
grossen Menge, für welche die Durchschnittsbücher geschrieben werden,
gefiele, dann würde er es sofort vernichten. Ein Patricier der Kunst,
will er nur von seinesgleichen beurtheilt werden, nicht etwa aus Hoch-
muth — seine Unberühmtheit, die eine willkürliche ist, zeugt genugsam
für seine Bescheidenheit — sondern weil er weiss, dass die Kunst ein
Cult ist, der allen, die sich zu ihm erheben, Aufnahme gewähren, sich
aber nie zu jenen herablassen soll, die des Aufschwunges unfähig sind.
Diese Ultra-aristokratische Tendenz, bloss für einen engen Kreis
erwählter Geister eine Kunst zu schaffen, die der grossen Menge unzu-
gänglich bleibt — eine Tendenz, die täglich neue Anhänger gewinnt —
mag verwerflich und falsch sein, aber sie verkörpert, wie Edouard
Rod sagt, die natürliche und nicht ungerechtfertigte Reaction gegen
eine gewisse missverstandene Demokratisierung der Kunst. Je mehr die
Geschäftsleute unter den Malern und den Literaten ihre Ware herab-
setzen, um sie dem Beutel und dem Verständnis der Menge erreichbar
*) Siehe »Notizen« dieser Nummer.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 836, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0836.html)