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zu machen und jedem Geschmack gerecht zu werden, desto angelegent-
licher werden die wahren Künstler mit ihrem Hass gegen das Triviale
sich bestreben, eine enge, unzugängliche Gemeinde mit complicierten
ästhetischen Gesetzen zu bilden.
Wie immer man über diese Hyper-Exclusiven, deren Prototyp
Mallarmé ist, denken mag, kann man doch nicht umhin, den stolzen
Stoicismus zu bewundern, womit sie freiwillig auf den Beifall der
Menge verzichten, der doch jedem Künstlerherzen so wohl thut, sich
dem Spotte preisgeben, und riskieren auch von der Nachwelt verkannt
zu werden, nachdem sie bei der Mehrzahl ihrer Zeitgenossen kein
Verständnis fanden.
Persönlich ist Mallarmé von seltener Bescheidenheit und hat eine
geradezu inbrünstige, fast übertriebene Ehrfurcht vor der Kunst. Wer
würde glauben, dass jener fünfundfünfzigjährige Dichter, der seit mehr
als 30 Jahren literarisch thätig ist und von einer erlesenen und ziemlich
stattlichen Zahl junger Künstler zu ihrem Meister erhoben wurde, bis
vor wenigen Jahren keinen Band herausgegeben, einfach, weil — wie
er in einem vertraulichen Brief äusserte — eine Vereinigung einzelner
da und dort erschienener Gedichte — »jener armen, verstreuten Blätter,
die ein Windstoss, der von Ferne kam, einem trüben Leben entrissen« —
an Aufbau, Rhythmus und Harmonie nicht seiner Vorstellung von
einem Buch entspricht!
Nicht minder bescheiden ist die äussere Lebensführung dieses
köstlichen Dichters, dieses eifrigen Ästhetikers, sein Lebenslauf so
ereignislos, dass er sich in wenig Worten erzählen lässt. Im März 1842
zu Paris geboren, wandte sich Mallarmé, kaum dass er die Schule
verlassen, der Literatur zu. Er verheiratete sich frühzeitig und nahm
eine Stelle als englischer Professor an der Universität an (er hatte
sich die englische Sprache angeeignet, um Edgar Poe in der Ur-
sprache zu lesen), was ihm ermöglichte, in Zurückgezogenheit seinen
Träumen zu leben und ihn des journalistischen Frohndienstes und
aller künstlerischen Zugeständnisse enthob. Und bis heute noch
theilt er sich zwischen den undankbaren täglichen Kampf einer Schul-
meister-Existenz und einer immer raffinierteren, immer subtileren künst-
lerischen Arbeit.
Mallarmes Ästhetik beruht auf einer streng philosophischen
Grundlage, die der des Richard Wagner verwandt ist und ohne deren
Kenntnis es sehr schwer ist, seine so eigenartige Kunst zu verstehen
und zu geniessen.
Mallarmé hat sich eine ganz idealistische Weltanschauung gebildet;
für ihn, wie für Plato und Fichte, ist die Welt, in der wir leben und
die wir die wirkliche nennen, bloss eine Vorstellung unserer Seele, dem
einzigen, wirklich Existenten. Unglücklicherweise ist uns das Bewusstsein
unserer schöpferischen Kraft abhanden gekommen und so wurden wir
zu Opfern und Sclaven der von uns gezeugten Welt. Darum müssen
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 837, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0837.html)