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manieriert sind. Schlichtheit wäre bei ihnen Affectation, eine Art von
umgekehrter Manier. Sie müssten lange suchen und sehr an sich
herumarbeiten, um schlicht zu sein.«
Mallarmé nimmt gewöhnlich einen complicierten und umfassenden
philosophischen Gedanken zum Ausgangspunkt, und da dieser, um in
die Erscheinung zu treten, einer äussern Gestalt bedarf, so wählt er
einen Vorgang oder ein Schauspiel in der Natur, worin dieser Gedanke
sich ausdrückt und der dadurch eine symbolische Bedeutung erhält.
Weiterbauend geht er nun deducierend von Idee zu Idee, und in
Analogien von Bild zu Bild. Aber die Deductionen sind meist äusserst
spitzfindig, und die Analogien weit hergeholt und immer ungewöhnlich.
Da er obendrein das Bild zumeist nicht ausführt, sondern bloss durch
ein synthetisches Wort andeutet, sprunghaft schreibt, und es dem Leser
überlässt, die Lücken auszufüllen, so wird der Sinn seiner Verse immer
schleierhafter und schwerer zu enträthseln. Dazu kommt noch ein
anderes: Wie schon gesagt, geht Mallarmes höchstes Streben dahin,
eine Sprache zu schaffen, die das gesammte Leben der Seele aus-
drückt, d. h. neben den Gedanken auch ihre Empfindungen und Emo-
tionen wiedergibt. Darum finden sich in seinen Versen oft Worte, ja
ganze Sätze, die keine begriffliche Bedeutung haben, sondern nur zur
emotionellen Wirkung, im Hinblick auf den Rhythmus und die Klang-
wirkung, Platz darin finden. Freilich hat Mallarmé dadurch, dass er
sich alle Errungenschaften der Parnassiens aneignete, sie durch unab-
lässigen geduldigen Fleiss bereicherte und steigerte, sie durch neue
Funde vermehrte, aus der Sprache ein unübertreffliches poetisches
Werkzeug gemacht. Aber dennoch sollte man darüber nicht vergessen,
dass die Sprache doch in erster Linie dazu da ist, um Gedanken
auszudrücken, und dass man Worte mit bestimmter, feststehender
Bedeutung nicht ihrem Sinn entgegen oder in einem ganz fremden
Sinne anwenden darf, lediglich auf ihre Klangwirkung bedacht. Dies
thut aber Mallarmé in willkürlichster Weise. Dies scheint mir seine
ärgste Verirrung, die zu jener schier undurchdringlichen Unverständ-
lichkeit seiner letzten Schöpfungen führt.
Ist es doch an sich schwer genug seinem verzweigten Ideengang
zu folgen, zur Quintessenz seiner metaphysischen Speculation vorzu-
dringen! Denn nur allzugern überlässt er sich einem Hang zum Spin-
tisieren, zu spitzfindigem Untersuchen, der eigentlich weit eher im
deutschen als im latinischen Geiste liegt. Selbst der geübte, philo-
sophisch geschulte Leser vermag ihm ohne gründliche Vorbereitung
und geduldiges Eingehen nicht zu folgen, und wenn auch dem Schöpfer
einer neuen Ästhetik das Recht zusteht, sich über das Niveau des
Durchschnittes zu erheben, sich ohne Rücksicht darauf mit seinen
Lehren nur an eine geistige Elite zu wenden, so muss ein solcher
Zug zur Mystik, zur Geheimnisthuerei und Verballhornung, wenn ihm
keine Schranken gesetzt werden, doch schliesslich unausweichlich zum
Schiffbruch führen.
Zitiervorschlag
Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 841, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0841.html)