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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 843

Text

STÉPHANE MALLARMÉ. 843

muss dem Leser die Stimmung, die der Dichter auszudrücken gedachte,
suggerieren.

Sicherlich sind die kleinen Prosadichtungen des Baudelaire
im ganzen entzückend, dennoch sind manche darunter allzu weit-
schweifig und ergehen sich oftmals in ferner liegenden Einzelnheiten,
die ihre Wirkung abschwächen. Ihnen scheinen nur die des Mallarmé
an Formvollendung und Quintessenz des Inhaltes weit überlegen. Jene
Skizzen: »Le Fusain«, »Le petit Saltimbanque«, »La Pipe«, »Plaintes
d’Automne«, »Frissons d’hiver«, »L’Ecclésiastique« und einige andere,
die der belgische Verleger Deman im Jahre 1891 unter dem Titel:
»Pages« vereinigte, bilden in ihrer grossen Klarheit und Verständ-
lichkeit, einen lebhaften Gegensatz zu Mallarmés sonstigen Werken,
ein Winkelchen, das allen zugänglich ist, an dem sich alle erfreuen
können.

Aber um den Prosaschriftsteller Mallarmé erschöpfend zu kennen,
ist es nothwendig, nebst seinen kunstkritischen Essays, die unter dem
Namen: »La Musique et les Lettres« vereinigt sind, auch seine Über-
setzung der poetischen Werke des Edgar Poe, seine Vorreden zu
»Vathek« und seinen Vortrag über Villiers de l’Isle Adam kennen
zu lernen.

Als Schluss dieses Überblickes über die Kunstanschauung des
Mallarmé und zur Charakterisierung seines Lebenswerkes, über das
sich heute noch kein Urtheil fällen lässt, das aber jedesfalls Achtung
gebietet, als das Werk, in das ein gewaltiger, vornehmer Künstler
seine ganze Seele legt, und um des leidenschaftlichen Ernstes willen,
womit er nach einer neuen Ästhetik strebt, möge folgendes Bruchstück
eines Briefes von ihm hier Platz finden: »Je crois que la littérature,
reprise à sa source, qui est l’art et la science, nous fournira un
théâtre, dont les représentations seront le vrai culte moderne; un
livre, explication de l’homme, suffisante à nos plus beaux rêves. Je
crois tout cela écrit dans la nature de façon, à ne laisser fermer les
yeux qu’aux intéressés à ne rien voir. Cette oeuvre existe, tout le
monde l’a tentée sans le savoir, il n’est pas un génie ou un pitre,
ayant prononcé une parole, que n’en ait retrouvé un trait sans le
savoir. Montrer cela, et soulever un coin du voile de ce que peut être
pareil poème, est dans un isolement mon plaisir et ma torture.«


Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 843, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0843.html)