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Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 856

Text

856 MEYER-FÖRSTER.

seine Hände, und seine Seidentücher, und seine Gefühle vor allem
waren rein geblieben. Nie hätte er können einem Mädchen, das die
Arme beim Sprechen auf den Tisch auflegte, ein gutes Wort geben.
O never! — Margarete that das nie.

Kleine, freundliche Margarete! Ihr Kummer und ihre Ver-
zweiflung waren ausgelöscht, sie verstand jetzt wieder etwas vom
Leben, vor allem, dass es herrlich ist, den Kopf an die warme, klopfende
Brust eines so feinen, jungen Mannes zu legen und ganz leise zu
fragen: »Do’nt you love me a little?« »Vielleicht spreche ich’s nicht
richtig,« sagte sie zu sich selbst. »Aber er lächelt nicht darüber, ganz
leise streichelt er mich und sagt ‚my dear girl!‘ Die Engländer sind
die vornehmsten Menschen der Welt! Wenn wir plump sind und
ungeschickt, schauen sie darüber hinweg, und thun, als halten sie uns
für Gott weiss wie gebildet. My dear girl! so sagte unser Fräulein
in der Schule. Ach, wie konnte ich nachher an einen solchen Mann
gerathen, der mich zum Schlusse schlug! Diese Schande, diese Ver-
zweiflung, niemals könnte ich’s Harley eingesteh’n! O wenn er mit
seinen weissen Händen über meine geschlagenen Wangen streicht! —
Harley!« — — — — — — — — — — — — — — — — —


Blumen blühten auf unter seinen weissen schönen Händen auf
Margaretens Wangen. Funken erschlossen sich in ihren Augen. Ton-
leitern, mit kleinen süssen Himmelsnoten, tönten aus ihrer Seele. Oft
sah er sie mit seinen starren, guten Lordsaugen ganz verwundert an.
War das die kleine, schüchterne Bürgersfrau? Aus den Kleidern, die
er ihr gegeben, leuchtete sie empor mit seltsamen, verwirrenden Farben.
Ihre grauen Augen konnten dunkel werden vor Seligkeit. Nicht Frau,
nicht Mädchen, nicht Schwester, nicht Geliebte — etwas Unentwirr-
bares, Wildes, Zerfliessendes, Sanftes, Versinkendes — ein Geschöpf
mit tausend Strahlen, rund um eine einzige, blonde, kleine Person —
sind so die german girls? Nennt man so etwas german girl? Er kam
nicht dahinter, es quälte ihn, und er rückte ihr etwas ferner, seiner
kleinen Margarete. Dunkel sah sie zu ihm auf, wenn er mit der
Hand, an der der Riesenbrillant aus Beludschistan glänzte, ihre
zitternden Finger sanft zurückschob. Wollte er sie nicht mehr? »Harley-
boy!« sagte sie, und küsste die Hand und den sprühenden Stein.
Dann sass sie still, ergeben, einer besseren Stunde gewärtig. Und
träumerisch, wie aus einer anderen Welt, gehoben und gerettet, mit
einer gleichsam abgestorbenen mitleidigen Liebe, gedachte sie ihres
früheren Ich, ihres Lebens an der Seite ihres Mannes. Die Schläge
rissen nicht mehr an ihrem Herzen. Sie konnte über diese Erdennoth
hinwegsehen. Nur das Kindchen kam des Nachts, und tastete mit
seinen kleinen Händen, die es einst so hilfreich nach ihr ausgestreckt,
als Papa das arme Mütterchen schlug, zu ihr empor. Dann war es
ihr, als habe sie den Tod und seine Leiden überwunden und schwebe
in einer höheren Welt, und dürfe das Kind wie ein schützender
Engel umfassen. Und in ihre Kissen murmelte sie: »Gott segne dich!

Zitiervorschlag

Wiener Rundschau: Jg. 2, Bd. 3/4, Nr. 22, S. 856, in: Wiener Rundschau Digital (1896–1901), herausgegeben vom Austrian Centre for Digital Humanities (ACDH), Wien 2025 (https://acdh-oeaw.github.io/wiener-rundschau-static/WR-02-02-22_n0856.html)